Rezension

naja

The Circle - Dave Eggers

The Circle
von Dave Eggers

Bewertet mit 1 Sternen

„Das `1984´ fürs Internetzeitalter (Zeit online)“? Wir werden sehen ...

Neulich ein Freund zu mir: „Du, Hermine Granger (für alle die es nicht wissen, die Schauspielerin heißt Emma Watson :) hat einen neuen Film gedreht. Mit Tom Hanks.“

Den verehren wir beide.

„Aber der Trailer ist langweilig. Den Film schaue ich mir nicht an, irgendwas mit Circle.“

 

Der Trailer: viel Rot, viele entspannte lachende Menschen, unendliche Rechnerkapazität, ein Unfall mit einer Drohne.

Ich schaue mir die schnellgeschnittenen Filmschnipsel an und denke: `Hm. Mein Freund hatte recht. Nicht animierend für mich, den Film im Kino zu sehen. Erinnert an den Google-Campus.“

Und dieser spielte bereits in der Komödie „Prakti.com“ aus dem Jahr 2013 die Hauptrolle. Eine weitere Werbung für den Konzern als Arbeitgeber?

Also entschließe ich mich, den Film später zu leihen und nicht ins Kino zu gehen.

 

Diesen Montag war ich in unserer Stadtbibliothek. Und was sehe ich im Regal mit den Empfehlungen?

Goldene Schrift auf knallrotem Einband mit einem kreisrunden goldenem Unendlichkeitszeichen, mittig ein kleines c: „Der Circle – Roman – Dave Eggers“.

2015 im Kipenheuer und Witsch Verlag erschienen, aus dem Amerikanischen übersetzt von Ulrike Wesel und Klaus Timmermann. Stolze 560 Seiten, die ein Schriftsteller erst einmal schreiben muss. Schon dafür alle Achtung.

Auf der Rückseite steht fett: „Das `1984´ fürs Internetzeitalter (Zeit online)“.

George Orwell soll also grüßen.

Na, das klingt doch viiiel interessanter. Das genügte mir, nahm das Buch mit nach Hause und begann sofort zu lesen. Sollte auch dieses Mal, wie so oft, die Buchvorlage besser als der Film sein?

 

Hauptfigur ist Mae, eine Tweenie, die neu beim Circle angestellt wird. Die Stelle verdankt sie ihrer besten Freundin Annie, die zur sogenannten 40er-Bande gehört, die vierzig kreativsten Köpfe und Führungskräfte der Firma. Darüber gibt es die Drei Weisen, die Geschäftsführer und Ideenbefürworter und Beflügler.

Anfangs wird eine Art Garten Eden im Himmel beschrieben, Gebäude mit Kathedralen, aber im selben Satz mit einem Exerzierplatz verglichen.

Ist die Hauptprotagonistin verstorben? Soll das eine Geschichte im Rückblick sein? Ich weiß nicht, wo die Handlung mich hinführt (habe mir verkniffen den Klappentext zu lesen) und bin froh als der erste Dialog beginnt.

Mehrere interessante Figuren werden eingeführt, spielen bis zum Ende des Buches aber kaum eine Rolle. Die wichtigen entscheidenden Personen lerne ich erst im Laufe der Geschichte kennen.

Haupttenor des Buches ist, dass Transparenz jedes Einzelnen zu weniger Verbrechen führen muss. Und das das gut ist. Wenn ich mich jetzt erinnere, ist nicht einmal das Wort Freiheit aufgetaucht, die hier Eggers doch thematisieren will, oder nicht?

Jedenfalls klettert Mae die Karriereleiter hoch und wird das öffentliche Gesicht des Circles, in dem sie sich dazu bereit erklärt, ihr Leben transparent für alle Erdenbewohner zu zeigen. Im Klartext heißt das, dass sie mit dem Aufstehen frühmorgens bis 22 Uhr eine Mini-Kugel-Kamera um den Hals trägt und ringsum ständig von weiteren versteckten Mini-Kameras gefilmt wird und so von jedem (der über Internet verfügt) beobachtet werden kann. Jede Mimik, jede Reaktion von ihr wird gesehen, wird auch aufgenommen und für die Nachwelt erhalten. Sie sonnt sich in Anerkennung, sie schämt sich, wenn sie menschlich reagieren muss und grämt sich über Ablehnung ihrer Person gegenüber. Dies erinnerte mich an den historischen Ausruf: „Ich liebe ... Ich liebe doch alle! Alle Menschen! Na ich liebe doch ... Ich setze mich doch dafür ein.“1

Die Handlung plätschert dahin und wird unterbrochen von kläglichen zwei Stimmen, die versuchen Mae vor der Gefahr der totalen Überwachung zu warnen. Doch ihre Argumente überzeugen sie nicht, sie bleibt dem Circle treu.

Eine Szene rüttelte mich aus meinem Lesefluss und regte mich auf.

Mae macht beim 40er-Meeting den bescheuerten Vorschlag, das Wählen Pflicht sein muss.

Haha, sehr originell. Willkommen in der DDR.

(nochmals)

Wahlbeteiligung: 100%

Wahlergebnis: 100% für die eine Partei, die Wahrhaftige!

Plan erfüllt.

Ich dachte, nun kommt die Wende.

Mae erkennt und rebelliert gegen die Überwachung?

(...)

Mehr will ich von der Handlung nicht verraten, falls ihr das Buch lesen oder euch den Film anschauen möchtet.

 

Eines muss man dem Autor lassen. Erstens finde ich seine Dialoge klasse geschrieben. Zweitens verwendet er eine klare Sprache. Und drittens ist es gruslig zu sehen, wie er die Realität einfängt und sie sofort vor meinen Augen erscheint. Ich selbst habe erlebt, wie sich Freunde aufregten, weil sie nicht innerhalb von zwei Minuten eine Antwort auf ihre Nachricht erhalten haben, fühlten sich beleidigt, zurückgesetzt. Dieser Druck des sofortigen Informationsaustauschs und sozialer Interaktion wird von Egges sehr gut dargestellt.

Grauenvoll dagegen finde ich die erotischen Szenen. Jede/r LiebesromanautorIn in den sogenannten Groschenromanen kann das tausend Mal besser. Bitte, bitte lass sie das nächste Mal weg, bitte Mr. Eggers.

 

Wo sehe ich den Zusammenhang zu George Orwell?

„Der Circle“ ist ein Prequel zu „1984“ und stellt dar, wie möglicherweise ein totalitärer Staat entstehen könnte. Das ist aber auch die einzige Gemeinsamkeit. Eggers Buch kommt weder an die Vielschichtigkeit der Handlung noch die der Personen von „1984“ heran.

In nur einem Absatz erwähnt Eggers, dass Mae die Welt außerhalb des Campus als heruntergekommen, eintönig, schmutzig und unter ihrer Würde empfindet. Nur der Campus ist das einzig Schöne. Doch wenn die Handlung außerhalb spielt, sie Kajak fährt, sie fasziniert Seehunde beobachtet, die Ruhe der Natur genießt, empfindet sie dies nicht? Ja, was denn nun raus oder rein in die Kartoffeln?

Dabei ist Mae eine geradlinige, dem Circle gegenüber loyale Figur. Sie will alles, was ihr der Konzern verspricht. Sie hinterfragt nichts, nimmt alle Handlungen ihres Arbeitgebers hin, selbst als Menschen sterben und sie über deren Tod entsetzt ist.

Letztendlich hat mich das Buch nicht umgehauen und mich nicht überzeugt, den Film überhaupt anzusehen. Die Geschichte werde ich kein zweites Mal lesen und viele Stellen, die langatmige Beschreibungen und Aufzählungen enthalten, hätte ich gern überflogen.

Ach übrigens, noch ein Letztes: Heute hörte ich eine Mutter zu ihrer kleinen Tochter auf dem Karussell rufen: „Schatz lächeln, das ist für Instagram.“

Oh nein, war ich mit drauf auf dem Foto?

Big Brother is watching you ;) 2

 

1Erich Mielke, Minister der Staatssicherheit der DDR, am 13.11.1989 zur 11. Tagung der Volkskammer der DDR

2aus: George Orwell „1984“, Verlag Secker & Warburg, London 1949