Rezension

Nicht durchweg gelungen, echte Geschmackssache, aber durchaus unterhaltsam

The Chemist - Die Spezialistin - Stephenie Meyer

The Chemist - Die Spezialistin
von Stephenie Meyer

Bewertet mit 4 Sternen

Mit "The Chemist - die Spezialistin" betritt die Twilight-Autorin neues Terrain. Und das ist für Schriftsteller ja immer etwas heikel! Alte Fans könnten vergrault werden, potenzielle neue Leser zu große Vorbehalte haben. Aber kann wirklich etwas schief gehen, wenn der gute alte Bourne-Stoff als Grundlage dient? Genau das will der Plot nämlich sein – die weibliche Antwort auf Superagent Jason Bourne, den sich Meyer für ihre Heldin Alex zum Vorbild genommen hat.

Die Ärztin und US-Verhörspezialistin Alex alias Juliana Fortis ist auf der Flucht, seit vor einigen Jahren der Geheimdienst beschlossen hat, sie loszuwerden. Im Agentenbusiness ist zu viel Wissen ja noch nie besonders gesund gewesen. Dank ihres umfangreichen chemischen Know-how konnte Alex bisher überleben. Mit giftigen Gasen und anderen tödlichen Substanzen schaltet sie einen Angreifer nach dem anderen aus. Doch ihr Leben ist zur Vorhölle geworden. Alex ist immer auf der Hut, immer in Bewegung. Da gibt es von ihren Ex-Arbeitgebern das verlockende Angebot, im Gegenzug für einen letzten großen Job unbehelligt von der Bildfläche verschwinden zu dürfen. Dazu muss sie aus dem Lehrer Daniel Beach lediglich Informationen herausfoltern, die verhindern, dass es zu einer biologischen Katastrophe kommt. Kein Problem für eine kaltschnäuzige Verhörspezialistin. Oder doch?

Die Geschichte ist ein Mix aus klassischem Agententhriller, Humor und Gefühl – eine spezielle Mischung, die man mag oder eben nicht. Mich hat "The Chemist" trotz ein paar Mankos gut unterhalten. Während des Lesens hatte ich aber immer ein Auge auf die nach und nach veröffentlichten Kritiken, die teilweise eher bescheiden ausfielen. Meine eigene, kleine (unwissenschaftliche) Studie hat ergeben, dass hierfür vor allem drei Gründe ausschlaggebend sind:

1. Einige von Meyers alten Twilight-Fans sind von der Lovestory enttäuscht, die "The Chemist" (natürlich!) beherbergt, die aber anders angelegt ist, als man es von Stephenie Meyer gewohnt ist. Kein Drama, kein Lover mit Testosteronüberschuss. Die Liebe gibt sich diesmal temperamentlos, manche sagen fade, andere können ihr eine angenehm unaufgeregte Romantik abgewinnen.

2. Lange Gesichter gibt’s bei allen, die sich auf einen oldschool Spionagethriller gefreut und im Klappentext die angekündigten „großen Gefühle“ überlesen haben. Den (zeitweise blutigen) Crime-Anteil gibt es zwar durchaus im Buch, er wird aber immer wieder von der Liebesgeschichte abgelöst, weshalb manch einer stellenweise Füße scharrend auf die nächste Spannungsspitze warten dürfte.

3. Stephenie Meyer hat sich zwar von einigen Klischees verabschiedet, dafür ein paar neue gefunden. Die beiden Hauptprotagonisten sind… speziell. Jeder auf seine Weise. Während der männliche Part eine Mischung aus großem Jungen, Schwiegermutters Traum, Engel und Trampeltier ist, verkörpert Alex die emotional unerfahrene Wissenschaftlerin – die Kombination ist, gelinde gesagt, gewöhnungsbedürftig, vom Gefühl her ein bisschen wie „Teenies beim ersten Date“ und damit nicht ganz das, was man im Erwachsenengenre gewohnt ist.

Vielleicht hat Stephenie Meyer zu viel gewollt, oder ist den einen oder anderen Kompromiss zu viel eingegangen – jedenfalls hat das Buch tatsächlich ein paar Hänger. Es gibt Längen, die Charaktere wirken teilweise etwas angestrengt konzipiert und an der ein oder anderen Stelle kommt Stephenie Meyers romantische Ader allzu offenkundig durch. Etwa, wenn die supertoughe Agentin, die nichts dem Zufall überlässt, gleich beim ersten Treffen mit dem männlichen Lovepart aus Versehen ihren richtigen Namen verrät.

Trotzdem: "The Chemist" hat darüber hinaus so Einiges zu bieten! Neben Stephenie Meyers gewohnt warmen, fließenden, reflexiven Schreibstil zum Beispiel all dies: doppeltes Spiel, gekonnte Bluffs, geniale Tricks, coole Gadgets, Spannung und durchdachte Aktionen, eine leicht sperrige, aber (meistens) wunderbar logische Hauptfigur und ein paar echte Lacher, die einem weiteren Charakter geschuldet sind, der eine unterhaltsame Ergänzung zu dem etwas langweiligen Helden darstellt.

Stephenie Meyer hat ihr literarisches Gesamtwerk damit zwar nicht völlig neu möbliert, aber sehr wohl mit ein paar hübschen, neuen Tapeten versehen, die frische Farbe in die Spionagebude bringen. Das Buch hat seine Längen, ja. Die Charaktere sind manchmal etwas peinlich, ja. Aber wenn’s ums Eingemachte geht, glänzt "The Chemist" auch mit Stärken. Am Ende bleibt dieser Genrecocktail aber wohl Geschmackssache.