Rezension

Nicht ganz perfekte Identitätsfindung

Nur ein Tag
von Gayle Forman

Bewertet mit 4 Sternen

"Nur ein Tag" handelt von Allyson, die zum High School Abschluss eine Europareise zusammen mit ihrer besten Freundin geschenkt bekommt. Doch sie kann diese Reise kaum genießen. Das ändert sich erst, als sie den Niederländer Willem bei einer Theateraufführung von Shakespeare kennen lernt. Willem ist das genau Gegenteil von der schüchternen, organisierten und ordentlichen Allyson. Daher ist sie überrascht, dass dieser für einen Tag nach Paris einlädt. Noch mehr überrascht sie jedoch, dass sie dieser Einladung zustimmt und damit eine große Veränderung in Gang setzt...

Gayle Forman ist für mich eine Autorin wie Sarah Dessen. Sie bieten dem Leser wunderbare weibliche Figuren an, die unheimliches Identifikationspotenzial bieten, die man auf ihrer Reise zu sich selbst begleitet und dabei auch immer etwas über sich selbst lernt. Dass mit den Geschichten meistens noch ein männliches Schnuckelchen verbunden ist, ist sicherlich auch nicht zu verachten. Formans Doppelpack "Wenn ich bleibe" und "Nur diese eine Nacht" konnten mich bereits überzeugen, daher habe ich bei dem Auftakt ihres nächsten Doppelpacks gerne zugegriffen!

Wie erwartet: Allyson hat mich gleich von der ersten Seite an, an mich selbst erinnert. Ich hatte zeitweise wirklich das Gefühl, dass "Nur ein Tag" für mich ganz alleine geschrieben wurde. Natürlich stimmen Allyson und ich uns nicht 100% überein, aber diese großen Zwänge und Sorgen, die teilen wir. Daher konnte ich mich wunderbar in sie hineinversetzen. Willem als männliches Pedant ist dagegen etwas gewöhnungsbedürftig. So selbstbewusste Männer hinterlassen mich meist sehr skeptisch, aber man merkt doch schnell, auch wenn die Geschichte im ersten Teil nur aus Allysons Sicht erzählt wird, dass auch er ein verletzliches Inneres hat. Dass es Gründe gibt, warum er so ist wie er ist. Willem hat natürlich vor allem die Funktion bei Allyson eine Veränderung auszulösen. Bevor ich zu diesem Aspekt komme, will ich nur ergänzen, dass Allyson und Willem eine tolle Chemie haben. Man hat zwar nur diesen einen Tag mit den beiden, aber ihre "Liebesgeschichte" ist dennoch glaubwürdig und mitreißend erzählt.

Die größte Stärke von "Nur ein Tag" ist aber definitiv die Findung zu sich selbst. Viele Menschen schaffen es ihr ganzes Leben es nicht ihr wahres Ich für sich selbst zu erkennen und dazu zu stehen. Dabei ist eine entscheidende Phase dieses Schrittes bereits in der Pubertät gesehen. Allyson ist auch etwas später dran und dennoch ist es faszinierend sie bei diesem Prozess zu begleiten. In Paris vergeht zwar nur ein Tag, aber es zeigt gleichzeitig, wie viel so ein Tag ändern kann. Für Allyson ändert es ungelogen ihr ganzes Leben. Diese Identitätsfindung ist wunderbar realistisch und authentisch beschrieben. Sicherlich gibt es dabei ein paar Längen, ein paar Aspekte und Nebenfiguren, die eigentlich unwichtig für das Gesamtgeschehen ist. Aber insgesamt ist es sehr gelungen.

Dass "Nur ein Tag" aber letztlich nicht die absolute Leseempfehlung von mir bekommt, liegt am berühmten Ende. Je weiter der Roman fortschreitet, desto mehr verfestigen sich die Erwartungen an den weiteren Verlauf und an den Punkt, an dem alles zwangsweise enden muss und dieses Ende habe ich nicht erwartet. Es ist keine Katastrophe, aber es hinterlässt mich doch irgendwie unbefriedigt. Zumal ein paar Seiten mehr in meinen Augen der Gesamtbotschaft des Textes nicht widersprochen hätte. So bleibe ich etwas ratlos zurück...

Fazit: "Nur ein Tag" reiht sich wunderbar in Formans bisheriges Werk ein. Ihre Stärken (die Figuren, die Gefühle und der Plotverlauf) sind erneut deutlich zu erkennen. Einige erzählerische Längen sind nicht zu leugnen und das Ende wird nicht jedem Leser schmecken, aber das Gesamtwerk ist schon verdammt gut.