Rezension

Nicht perfekt,aber dennoch unterhaltsam

Flawed - Wie perfekt willst du sein?
von Cecelia Ahern

Bewertet mit 4 Sternen

Als ich das erste Mal hörte, dass Cecelia Ahern eine Dystopie für Jugendliche geschrieben habe, war ich verdutzt. Cecelia Ahern? Eine Dystopie?! Schließlich war die Autorin bisher für ihre an ein erwachsenes Publikum gerichteten Liebesgeschichten und ihre emotionale Gegenwartsliteratur bekannt. Zugegeben, ich war skeptisch, aber meine Neugier war geweckt!

In den letzten Jahren sind unglaublich viele Dystopien erschienen, so dass man manchmal das Gefühl hat, alles wiederholt sich, es gibt nichts Neues mehr... Aber Cecelia Ahern, die aus einer ganz anderen literarischen Richtung kommt, schafft es in meinen Augen gerade dadurch, dennoch eine Geschichte zu erzählen, die sich neu und unverbraucht liest - trotz Parallelen zu klassischen Dystopien wie "1984".

Sie beschwört eine Zukunft herauf, in der eine außer Kontrolle geratene politische Institution versucht, moralische Perfektion zu erschaffen. Die kleinsten Verfehlungen werden mit absurder Strenge geahndet - und das lebenslänglich. denn die "Fehlerhaften" werden gebrandmarkt, bewusst ausgrenzt und in ihren Grundrechten beschnitten. Interessant fand ich hierbei besonders die Rolle der Medien; die Autorin zeigt überdeutlich, wie fatal es ist, wenn mediale Macht und politischer Macht Hand in Hand gehen.

Der Umbruch beginnt mit etwas, mit dem auch im realen Leben einmal eine Bürgerrechtsbewegung begann: damit, dass ein Mensch im Bus auf dem falschen Platz sitzt. (Ich vermute, dass die Autorin diese Parallelen ganz bewusst so geschrieben hat.) In unserer Realität war es die Afroamerikanerin Rosa Parks, die sich weigerte, ihren Sitzplatz für einen weißen Fahrgast aufzugeben, in diesem Buch ist es die 17-jährige Celestine, die einem "Fehlerhaften" zu einem Sitzplatz verhilft.

Wegen dieses einen "Fehlers" wird Celestines Leben komplett aus der Bahn geworfen, und wie sie damit umgeht, und wie beide Seiten der Debatte versuchen, sie für die eigenen Zwecke zu benutzen, las sich für mich spannend von der ersten bis zur letzten Seite - obwohl das Buch durchaus auch Schwachstellen hat.

Am Anfang erschien mir Celestine als schwacher Charakter: naiv, wenig interessiert an Politik oder ethischen Fragen, privilegiert, oberflächlich und selbstsüchtig. Sie mag Logik. Sie löst gerne Probleme. Aber ihre Welt ist schwarzweiß: alles ist gut oder böse, und die Regeln sind absolut und werden nicht hinterfragt. Ob die "Fehlerhaften" ihre Strafen verdient haben, beschäftigt sie daher nicht - bis es sie selbst betrifft.

Und dennoch... Wenn es hart auf hart kommt, wenn sie an einem ethischen oder moralischen Wendepunkt steht, trifft sie die richtigen Entscheidungen und findet die richtigen Worte. Ich hatte das Gefühl, dass Celestine eigentlich ein intelligentes, mitfühlendes Mädchen ist, das gerade erst damit beginnt, 17 Jahre der Gehirnwäsche abzuschütteln.

Die anderen Charaktere bleiben zum Teil eher blass, wie zum Beispiel ihre rebellische Schwester Juniper oder ihre Mutter, die als gefragtes Model der Inbegriff der Perfektion ist. Auch über ihren Freund Art hätte ich gerne mehr erfahren.

Am Problematischsten fand ich allerdings Carrick, der nach Celestines Verhaftung in der Nachbarzelle sein Urteil erwartet. Obwohl die Zellen schalldicht sind und sie sich nicht mal unterhalten können, fixiert sich Celestine schnell auf ihn, und das nimmt im Laufe des Buches in meinen Augen ungesunde Züge an. Gut, in einer Extremsituation fühlt man sich sicher hingezogen zu dem einzigen Menschen, der in der gleichen Lage steckt und einen verstehen kann, aber sie interpretiert nach nur wenigen Tagen eine Nähe in ihre "Beziehung" hinein, die es eigentlich noch gar nicht geben kann, weil sie nichts übereinander wissen.

Ich verrate jetzt mal nicht, ob aus dieser Fixierung eine tatsächliche Beziehung wird oder nicht, aber besonders gegen Ende war ich nicht glücklich damit, wie sich diese Sache entwickelt hat. Überhaupt hatte ich gegen Ende den Eindruck, dass manches überstürzt und nicht vollständig durchdacht abgewickelt wurde.

Den Schreibstil fand ich im Großen und Ganzen sehr angenehm und flüssig zu lesen. Meist konnte die Autorin mich damit mühelos in ihren Bann ziehen, nur manchmal fehlte mir in einer Szene das Gefühl, wirklich mitfiebern zu können, weil die Emotionen bei mir nicht ankamen.

Fazit:
Bei fehlerhaften Entscheidungen ist es die Schläfe.
Wenn jemand lügt, die Zunge.
Wenn jemand die Gesellschaft bestohlen hat, die rechte Handfläche.
Bei Illoyalität gegenüber der Gilde die Brust direkt über dem Herzen.
Bei gesellschaftlich inakzeptablem Verhalten die rechte Fußsohle.

In Cecelia Aherns erster Dystopie werden schon kleinste moralische Fehlentscheidungen mit Brandmarkung und Beschneidung der Grundrechte geahndet. Die 17-jährige Celestine bringt unbeabsichtigt den Stein des Umsturzes ins Rollen und muss schnell feststellen, dass die politischen Anführer, die Perfektion verlangen, oft diejenigen sind, die am meisten lügen und betrügen... Das liest sich spannend und unterhaltsam, auch wenn Celestine es dem Leser erst nicht leicht macht und manche Charaktere eher blass bleiben.

Ob die Dystopie mich im Endeffekt wirklich überzeugen wird, hängt davon ab, wie gewisse Dinge im zweiten Band aufgelöst werden, aber den ersten Band würde ich dennoch (vorsichtig) empfehlen.