Rezension

Nicht schlecht

Wer hat Angst vor Jasper Jones? - Craig Silvey

Wer hat Angst vor Jasper Jones?
von Craig Silvey

Bewertet mit 3.5 Sternen

Charlie will es sich selbst und der Welt beweisen, als er zu Jasper Jones in die Blumenrabatte klettert. Was er damit anstellt, wird ihm erst klar, als er Jaspers Lichtung betritt, aber nun kommt er nicht mehr zurück. Einmal herausgerissen aus seinem Kokon erlebt Charlie, wie es ist, ein Geheimnis mit sich herumtragen zu müssen, ohne jemandem davon erzählen zu können. Er lernt die Welt der Erwachsenen ohne ihren verdeckenden Schleier kennen und entdeckt die Grausamkeit seiner Stadt und deren Bewohner. Und in all dem Durcheinander, der Angst und der Unsicherheit wird er ein kleines Stück mutiger. 

Charlie ist ein intelligenter, fantasievoller, lesebegeisterter Junge, dem es an dem fehlt, was in der Stadt Corrigan wichtig ist - nämlich körperliche Stärke. Er wird für jedes intellektuelle Wort verprügelt und zieht sich am liebsten in die Welt der Bücher seines Vaters zurück, bis ihn sein heimliches Vorbild Jasper Jones aus seiner geregelten Umgebung reißt. Charlie ist mit seinen Schwächen und Stärken authentisch dargestellt, er handelt nachvollziehbar und macht sich viele Gedanken. Alles in allem war er ein Charakter, mit dem man sich sehr gut identifizieren kann und der mir sehr sympathisch war.
Jasper Jones ist so ziemlich das Gegenteil von Charlie, denn er ist selbstbewusst und stark. Er muss sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlagen und mit den Gerüchten klarkommen, die man in Corrigan über ihn verbreitet. Für sie ist er der Inbegriff alles Schlechten, Jungs wie Charlie bewundern ihn und die Mädchen träumen heimlich von ihm. Aber hinter der Fassade versteckt sich ein kaputt gespielter Junge, der nichts für seine schlechte Lebenslage kann und früh lernen musste, erwachsen zu sein. Auch Jasper war unglaublich glaubhaft dargestellt, seine Zerrissenheit, seine Trauer und seine zerplatzen Träume förmlich greifbar. 
Hinweise auf der Rückseite versprechen eine "Geschichte von Freundschaft, Rassismus und sozialer Ausgrenzung". Mit dem Rassismus gehe ich allerdings nicht ganz mit. Zwar wurde die Aggression gegenüber Asiaten dargestellt (mir tat das Mobbing Jeffrey gegenüber richtig in der Seele weh), aber es ist eben ein nur oberflächlich behandeltes Element und kommt dadurch zu kurz. Es hatte nichts mit der eigentlichen Story zu tun und wirkte dadurch überflüssig. Einem ernsten Thema wie Rassismus sollte man, meiner Meinung nach, nicht die Rolle des schmückenden Beiwerks zuteilen. 
Die im Klappentext angepriesene Furcht vor Gerüchten fand ich wiederum gut umgesetzt. Nicht nur, dass mit Jasper und Jack Lionel zwei Fallbeispiele geliefert werden, sondern die ganze Stadt Corrigan steht Model für all die Lästermäuler, Vorverurteilenden und Wahrheitsverdreher dieser Welt. An den Fallbeispielen wird nachgezeichnet, was eben diese Lästermäuler mit einem Menschen anstellen können. 
Ebenfalls gut gefallen hat mir die Darstellungsweise der Freundschaft zwischen Charlie und Jeffrey und der Freundschaft im Allgemeinen. Da wird sich beleidigt, gestritten, fremdgeschämt und wegen Nichtigkeiten schuldig gefühlt, wie das sicher die meisten kennen. Hier gibt es keine Küsschenlinksrechtmydarling-Freundschaften. 
Durch ebendiese Freundschaftsdarstellung, den Rassismus, das Cricket, die Gerüchte und Charlies ausführliche Gedankengänge entwickelte das Buch allerdings einige Längen, denn es sind viele Elemente, die mit dem eigentlichen Kern, der Aufklärung eines vermeintlichen Mordes, nicht wirklich viel zu tun haben. Zwischendurch hat man fast vergessen, dass es überhaupt eine Tote gab. Das kann man finden, wie man will - auf jeden Fall finde ich den Titel unglücklich gewählt, auch wenn er gut klingt!
Allerdings habe ich noch eine so spannende Beschreibung einer Sportveranstaltung gelesen - obwohl ich keine Ahnung hatte, was Cricket überhaupt ist!