Rezension

Nicht Zweigs beste Biographie

Maria Stuart - Stefan Zweig

Maria Stuart
von Stefan Zweig

Bewertet mit 3.5 Sternen

„In meinem Ende ist mein Anbeginn.“

„Maria Stuart ist nicht zur Ruhe und nicht für Glück geboren.“

Mary Steward, 8. Dezember 1542 – 18. Februar 1587, Tochter des Königs Jakob V. von Schottland und dessen zweiten Ehefrau Marie de Guise, wurde bereits, als sie lediglich sechs Tage alt war, Königin von Schottland und kam aufgrund der – sowohl politisch als auch religiös - turbulenten Zeiten nach Frankreich, um dort am Hofe Heinrichs II. aufzuwachsen und dessen erstgeborenen Sohn Franz zu ehelichen. Mit 17 Jahre wurde sie zum ersten Mal Witwe, das zweite Mal mit 25. Die zweite Hälfte ihres kurzen Lebens war vom Konflikt mit Königin Elisabeth I. geprägt. Wie kopflos die Rivalität der zwei Regentinnen endete, dürfte bekannt sein.

„Jetzt kann wie eine Axt das Urteil niederfahren.“

Dass Maria Stuart bis heute als eine der bekanntesten Monarchinnen gilt, ist nicht nur dem Umstand des tödlich endenden Präzedenzfalls, sondern auch der Legendenbildung und vor allem Marias Gegenwärtigkeit in Literatur, Theater, Musik und Film zu verdanken. Letzteres nicht zu Unrecht, da Marias Leben und Tod zu Genüge dramatischen Stoff bietet, um festgehalten und künstlerisch adaptiert zu werden. Auch Stefan Zweig ließ sich dazu hinreißen.

„[...] es gibt vielleicht keine Frau, die in so abweichender Form gezeichnet worden wäre, bald als Mörderin, bald als Märtyrerin, bald als törichte Intrigantin, bald als himmlische Heilige. Allein diese Verschiedenheit ihres Bildes ist merkwürdigerweise nicht verschuldet durch Mangel an überliefertem Material, sondern durch eine verwirrende Überfülle.“

Bevor ich zu dieser Biographie griff, las ich Anka Muhlsteins 'Die Gefahren der Ehe – Elisabeth von England und Maria Stuart' (welches ich an dieser Stelle empfehlen möchte), die unter anderem Zweig vorwirft, er habe voreingenommen, zu Gunsten Marias geschrieben. Nach Beendigung der Zweig-Lektüre möchte ich dem widersprechen. Zwar ist erkennbar, dass Zweig Maria eine gewisse Bewunderung bezüglich deren Bildung und Energie entgegenkommen lässt, kritisiert ihr Verhalten aber auch mehrmals. Er zeichnet Maria als eine mutige, leidenschaftliche, aber auch unbesonnene, leichtgläubige, sowie impulsive Frau, der in der Kindheit alles zuflog, die ihre späteren Leidenschaften auslebte, Fehler beginn und schließlich - angesichts der nahen Hinrichtung - zum ersten Mal überlegt handelte. Der Unterschied zu Muhlsteins und Zweigs Werk sehe ich eher darin, dass Zweig die Unterschiede, Muhlstein die Gemeinsamkeiten der zwei Frauen herausgearbeitet hat. Diese zwei Bücher miteinander zu vergleichen, ist unter diesem Gesichtspunkt sehr reizvoll, wie ich finde, aber das nur am Rande. Zu bemängeln habe ich eher das aufgezeigte Frauenbild, da Zweig persönliche und taktische Fehler auf die „weiblichen Schwächen“ zurückführt, was ich entweder dem damaligen Zeitgeist oder dem Chauvinismus zuordne, was aber letztlich lediglich eine Spekulation meinerseits wäre.

Gelungen finde ich, dass Zweig weder Maria noch Elisabeth schwarz-weiß malt und beiden Regentinnen Stärken und Schwächen, aber auch Widersprüchlichkeit (leider widerspricht sich Zweig einmal selbst) zuschreibt. Welche Quellen Zweig heranzog, ist in meiner Ausgabe leider nicht ersichtlich – schade! Herauszulesen ist jedoch, dass Zweig Briefe sichtete, da er diese oftmals zitiert. Anhand der eingefügten Gedichte bekommt der Leser Einblicke in Marias lyrisches Schaffen, was ich sehr begrüßte. Zu meinem Leidwesen sind nicht alle Gedichte (überwiegend Sonette) ins Deutsche übersetzt: Maria schrieb französisch. Auch andere Textstellen beziehungsweise Zitate sind oftmals lediglich in der französischen Originalsprache zu lesen. Hier hätte ich mir spätestens vom Herausgeber eine Übersetzung beziehungsweise Anmerkung gewünscht.

Die Deutung beispielsweise von Elisabeth als jungfräuliche Königin mag mittlerweile gewiss anders sein, da der Stand der Psychologie heute eine andere ist. Dass Zweig ein Kind seiner Zeit war, ist besonders dann bemerkbar, wenn manche Deutungen an Freud erinnern. Dennoch möchte ich Zweig zugute halten, wie tief er Maria durchleuchtet und somit ein genaues Profil erstellt, indem er aus den Fakten (überwiegend) sachliche Schlüsse zieht und somit ein Ganzes schafft. Hierbei führt er manchmal auch Vergleich aus der Literatur heran.

„Nie oder nur ganz selten ist uns ein Bekenntnis überliefert worden, in dem der geistige, der seelische Überreizungszustand inmitten eines Verbrechens so vollkommen enthüllt ist – nein, kein Buchanan und kein Maitland, keiner dieser bloß klugen Köpfe hätte mit seiner Bildung und Gescheitheit so magisch genau den halluzinierten Monolog eines verstörten Herzens ersinnen können, die schaurige Situation der Frau, die mitten in ihrer Tat keine andere Rettung vor ihrem Gewissen weiß, als daß sie an ihren Geliebten schreibt und schreibt, um sich zu verlieren, zu vergessen, zu entschuldigen und zu erklären, die in dies Schreiben flüchtet, um nicht in die Stille ihr Herz so rasend in der Brust hämmern zu hören. Abermals muß man unwillkürlich an Lady Macbeth denken, wie sie gleichfalls im losen Nachtgewande schaudernd im Dunkel des Schlosses umherirrt, belagert und bedrängt von grauenhaften Gedanken, und in erschütterndem Monolog ihre Tat somnambulisch verrät. Nur ein Shakespeare, nur ein Dostojewskij kann so dichten und ihr erhabenster Meister: die Wirklichkeit.“

Zur Übersichtlichkeit werden - nach der Einleitung - die in der Biographie vorkommende Personen aufgelistet. Nun, Zweig war Schriftsteller, sodass es nicht verwundert, dieses Kapitel unter der Überschrift „dramatis personae“ vorzufinden. Der Biographie ist definitiv anzumerken, dass Zweig weder Wissenschaftler noch Journalist, sondern Künstler war. Ein Literat wie Zweig wird - trotz Recherche - vermutlich mehr von den dramatischen, großen Momenten eines Menschenlebens (wie in diesem Buch deutlich) angezogen, was zur theatralischen Darstellung geführt haben mag, was mich aber nicht störte. Des Weiteren möchte ich Zweig anrechnen, dass er auch Mut zur Lücke beweist, indem er anmerkt, wenn sich ihm Lücken auftun:

„Alle diese Möglichkeiten sind denkbar und sogar sie alle zugleich – viele Gefühle mengen sich ja immer in einem einzigen Entschluß -, keine kann man mit Entschiedenheit behaupten oder verneinen. Denn hier, da der Weg bereits in die verschattete Unterwelt des Herzens hinabzuführen beginnt, brennen die historischen Lichter trüber: vorsichtig und nur auf Vermutungen gestützt, kann man sich weitertasten in diesem Labyrinth.“

Meiner Meinung nach ist Zweig eine lebendige Biographie in ausgefeilter und bildhafter Sprache gelungen, die sich flüssig und angesichts der Dramatik, Intrigen und Machtkämpfe atemlos lesen lässt. Nicht jedem mag Zweigs – zugegeben recht „blumigen“ - Schreibstil zusagen; in meinen Augen ist Zweig auch in diesem Werk ein Sprachkünstler mit Ausdruck und Eleganz, der Geschichte verständlich und dennoch niveauvoll erlebbar macht. Letztlich muss sich jeder selbst eine eigenes Bild davon machen.

„Abermals hat sich das Blatt zugunsten der Mutigen gewendet, alle Gefährdungen scheinen überstanden und alle Schwierigkeiten auf das wunderbarste gelöst. Noch einmal hat sich das Gewölk, das von Anbeginn tragisch über Maria Stuarts Schicksal hing, gnädig verzogen; aber den Verwegenen macht überstandene Gefahr niemals weiser, sondern immer nur noch tollkühner.“

Summa summarum finde ich die Biographie lesenswert, sofern man Zweigs Schreibstil mag. In meinen Augen ist sie von den Werken, die ich von Zweig bislang las, das schwächste. Dennoch konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand und musste es ab einem gewissen Punkt in einem Rutsch zu Ende lesen. Außerdem erfuhr ich einiges über Maria Stuart, was mir vor der Lektüre nicht bewusst war. Ich fand das Buch großartig geschrieben; für mich ist Zweig immer wieder ein Genuss: ein Mann der großen Worte und der leisen Zwischentöne. Angesichts meiner Kritikpunkte vergebe ich gute 3,5 Sterne.

Meine Rezension bezieht sich auf die Ausgabe der SZ-Bibliothek, Band 57.