Rezension

Nichts für Romantiker!

6 Uhr 41 - Jean-Philippe Blondel

6 Uhr 41
von Jean-Philippe Blondel

Bewertet mit 5 Sternen

Inhalt:

Cecile Duffaut sitzt im 6.41 Zug Richtung Paris und ist ziemlich angenervt, war das Wochenende bei ihren Eltern doch wieder einmal ziemlich anstrengend und wenig harmonisch. Jetzt geht es zurück zu ihrer Familie und ihrem Geschäft: Cecile vertreibt Bio-Naturkosmetik und ihr kleines Unternehmen expandiert. Der Platz neben ihr im Zug bleibt zunächst frei, doch plötzlich setzt sich ein Mann neben sie, den sie kennt: Philippe Leduc, ein lange verflossener Exfreund, den sie seit 27 Jahren nicht mehr gesehen hat - und den sie in keiner guten Erinnerung hat! Was tun? Ihn ansprechen? Ignorieren? Ihm ordentlich die Meinung sagen nach allem, was damals passiert ist? Eins ist klar: Die 1 1/2 Stunden Zugfahrt versprechen sehr lang zu werden ...

Meinung:

Das Buch hat mich sehr fasziniert zurückgelassen, zum Teil auch sicherlich deswegen, weil es so gar nicht den Erwartungen und Klischees entsprochen hat (zum Glück!). Wer hier ein bittersüßes Wiederaufleben einer längst vergangenen, aber damals leidenschaftlichen Liebe erwartet, wird enttäuscht! Denn im Gegenteil, das Buch hat es ziemlich in sich!

Die Geschichte wird sowohl aus der Sicht Ceciles als auch Philippes erzählt, beide Protagonisten kommen sozusagen zu Wort. Es ist auch von Beginn an klar, dass die beiden sich wiedererkannt haben - doch die Barriere sich gegenseitig anzusprechen scheint zu hoch. Aber das "Wiedersehen" löst in beiden Figuren eine Welle von (schmerzhaften) Erinnerungen aus und sie fangen an, Bilanz zu ziehen. Und diese Gedankengänge haben es oft in sich: Sie sind gnadenlos ehrlich, kritisch, fast schon selbstverletzend. Cecile und Philippe gehen hart mit sich selbst ins Gericht und der Leser erhält einen detailierten Einblick in ihrer beider Vergangenheit und Gegenwart. Obwohl die beiden nur eine kurze Zeitspanne zusammen waren, muss diese Beziehung sehr prägend gewesen sein. Ist vielleicht auch kein Wunder im Alter von 20 Jahren. Langsam aber sich erfährt der Leser, was damals vorgefallen ist, wie es zur (unschönen) Trennung kam und wie das Leben dann für beide weitergegangen ist.

Zeitweise machte mich das Buch etwas traurig und zog mich runter. Weder Cecile noch Philippe gehen wohlwollend mit sich um, besonders Cecile lässt kein gutes Haar an sich selbst, ihren Lieben und ihrem Leben. Manchmal hätte ein lebensbejahender Gedankengang, ein Aufblitzen von Hoffnung ganz gut getan!

Fazit:

Das Buch konnte mich voll überzeugen! ich bin ja kein großer Romantik-Zuckerguss-Fan und so war ich angenehm überrascht, dass sich die Protagonisten nicht irgendwann heulend in den Armen lagen und ihre alte Liebe wiederentdeckten! Cecile und Philippe nehmen (notgedrungen) die Zugfahrt und ihr "Wiedersehen" zum Anlass, einen kritischen Blick auf den bisherigen Verlauf ihres Lebens zu werfen und knallhart Bilanz zu ziehen. Und oft ist es nicht schön, was da ans Tageslicht gelangt! ich könnte gut nachvollziehen, wenn mancher Leser am Ende ziemlich frustriert ist und sagt, das Buch sei zu depressiv. Ich fand es sehr authentisch und ehrlich.

5 von 5 Sternen