Rezension

Nichts für zarte gemüter

Eigentlich müssten wir tanzen
von Heinz Helle

"Eigentlich müssten wir tanzen" von Heinz Helle (Suhrkamp Verlag) ist radikal, grausam und zwischenzeitlich nur sehr schwer zu ertragen. Warum ich es trotzdem bis zur letzten Seite gelesen habe? Ich mag Heinz Helles ganz individuellen Sprachstil, seine kleinen Ausflüge in die Philosophie und den Hunger aufs Leben, den ich beim Lesen immer mehr in mir gespürt habe.

Dunkel, kalt und grausam ist die Hölle, durch die Heinz Helle die fünf Männer seines postapokalyptischen Romans „Eigentlich müssten wir tanzen“ jagt. Doch er lässt nicht nur die Männer leiden, auch die Leser, die Seite für Seite die Grausamkeit eines hoffnungslosen Überlebenskampfes miterleben.

Jeder Herzschlag ein Sieg

Sie sind auf dem Rückweg von einem Ausflug, der eigentlich aus dem Alltag reißen und die unbeschwerte Zeit der Vergangenheit imitieren sollte. Doch nach ein paar mittelmäßigen Tagen auf einer abgelegenen Hütte in den Bergen ist nichts mehr, wie es mal war. Egal wohin die Männer schauen, entdecken sie nichts als Tod, Leere und Verwüstung. Was geschehen ist, wissen sie nicht. Wissen nicht, was die Menschen nahezu ausgelöscht und die Überlebenden zu Plünderungen bewegt und später vertrieben hat. Genauso wenig, wie die Leser nach der letzten Seite.

Mutprobe

Bereits im ersten der vielen knappen Kapitel fordert Heinz Helle uns zu einer Mutprobe heraus. Wer hat nach dem Zusammentreffen mit der unbekannten Frau den Mut zum Weiterlesen? Wer schafft, es beim Lesen das Ende der Welt auf seinen Schultern zu tragen? Es scheint so, als seien diese Fragen berechtigt, Hoffnung wird man in dem nicht einmal 200 Seiten starken Büchlein nämlich kaum finden. Helle ist gnadenlos: Mit dem Spiel von Beschreibungen und Leerstellen inszeniert er ein Kopfkino, aus dem es kein Entrinnen gibt. Die Temperatur scheint mit jeder weiteren Seite um mindestens einen halben Grad zu fallen, wenn der namenlose Erzähler von der feuchten Kälte berichtet, die der immer kleiner werdenden Gruppe ebenso wie der Hunger zu schaffen macht.

Das Kind ist noch recht gut genährt, es wird bestimmt noch eine Woche überleben, wenn es nicht plötzlich wieder kälter wird, vielleicht ist die Mutter ja nur Wasser holen oder so, wir lassen es in Frieden. Als wir uns wieder in Bewegung setzen, dreht sich das Kind um und sieht uns an. Ich habe Angst, dass es zu weinen beginnt, weil ich nicht weiß, was wir tun würden, um es dazu zu bringen, wieder aufzuhören. – Seite 38

Trotzdem werden wir auf eine erschreckende Weise von der bedrückenden Stimmung und der unheimlichen Atmosphäre gefesselt. Beim Lesen legt sich die Stille des Romans auch über die Welt. Wir freuen uns nur selten über das Surren des Kühlschranks, eine zufallende Tür oder den lärmenden Staubsauger der Nachbarin. Doch Heinz Helle sorgt dafür, dass wir diese Geräusche als Zeichen des Lebens und der Zivilisation feiern.

Leben wollen

Die Sprache und Tonalität des kleinen Büchleins unterstreichen die Resignation und Hoffnungslosigkeit – die zwischendurch dann aber trotzdem nur Kopfschütteln weckt. Doch die meiste Zeit möchte man die Männer schnappen und schütteln, sie zum Kampf um das eigene Leben aufrufen und ihnen von der Schönheit der Welt erzählen. Mich hat schon lange kein Roman mehr in der Art und Weise gefesselt, wie es dieser geschafft hat. Insgesamt brauchte ich mehrere Tage für das kleine Buch, das Hörbuch Hamburg aus gutem Grund nicht zu einem Hörbuch verarbeitet hat.  Es ist radikal, es ist grausam und zwischenzeitlich nur sehr schwer zu ertragen. Warum ich es trotzdem bis zur letzten Seite gelesen habe? Ich mag Heinz Helles ganz individuellen Sprachstil, seine kleinen Ausflüge in die Philosophie und den Hunger aufs Leben, den ich beim Lesen immer mehr in mir gespürt habe.