Rezension

Nichts ist, wie es scheint

Der Brief
von Carolin Hagebölling

Bewertet mit 3 Sternen

~~Die Journalistin Marie Kluge ist Anfang 30 und lebt in Hamburg mit ihrer Freundin Johanna seit zwei Jahren in einer Beziehung. Eines Tages findet sie einen Brief von ihrer alten Schulfreundin Christine, mit der sie schon sehr lange keinen Kontakt mehr pflegt und der sie völlig verwirrt. Christine schreibt von Maries Mann Victor, der mit Marie zusammen eine Galerie in Paris führen soll und von dem gemeinsamen Kind. Sie erwähnt ebenfalls, dass Marie schwerkrank sei. Marie ist völlig durcheinander, denn sie ist kerngesund und ihr Leben findet in Hamburg statt. Trotzdem lässt der Inhalt des Briefes sie nicht los, weshalb Marie kurzerhand nach Paris reist, um herauszufinden, was es mit all diesen Informationen auf sich hat. Kaum in Paris angekommen, fühlt sich Marie auf bekanntem Terrain, aber je mehr sie nachforscht und auch das Treffen mit Christine werfen immer neue Fragen auf. Gleichzeitig stellt Marie ihr ganzes bisheriges Leben in Frage. Wird Marie eine Antwort auf alle Fragen bekommen?
Carolin Hagebölling hat mit ihrem Buch „Der Brief“ ihren Debütroman vorgelegt. Der Schreibstil ist flüssig und temporeich, schnell lässt er den Leser in der Geschichte versinken. Die Geschichte wird aus der Sicht von Marie in der Ich-Form erzählt. Der Spannungsbogen wird recht schnell aufgebaut und zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Handlung, was durch die recht kurzen Kapitel noch unterstützt wird. Die Beschreibungen von Paris sind bildreich und geben dem Leser einen guten Eindruck über die französische Metropole. Die Autorin versteht es ebenfalls sehr gut, durch das Spiel mit zwei verschiedenen Lebensmodellen von Marie den Leser in Verwirrung zu stürzen und alles in Frage zu stellen. Welches Leben ist real, welches Fiktion? Welche Menschen spielen wirklich eine Rolle in Marie Leben und welche sind nur ausgedacht oder bestehen in ihrer Phantasie? Durch dieses Verwirrspiel wird der Leser an der Lektüre gehalten, will er doch um jeden Preis herausfinden, was hier gespielt wird. Das Ende der Geschichte wirft allerdings Fragen auf, die nur der Leser sich selbst beantworten kann, was eine gewisse Unbefriedigung hinterlässt.
Die Charaktere sind schön ausgestaltet und interessant in Szene gesetzt worden, so dass sie sehr lebhaft und authentisch wirken. Marie ist eine sympathische Frau, die wirkt, als stünde sie mit beiden Beinen mitten im Leben. Durch einen Brief wird ihre Realität bzw. ihr Leben in Frage gestellt, was sie verunsichert und sie nach einer Lösung suchen lässt. Gleichzeitig vermittelt Marie in anderen Lebenspunkten auch eine gewisse Rücksichtslosigkeit und Oberflächlichkeit, wenn man z.B. ihre Beziehung zu Johanna betrachtet. Johanna wirkt zwar nicht gerade wie eine nette Person, doch hat sie innerhalb der Geschichte auch ihre Daseinsberechtigung, bei der sie allerdings etwas zu kurz kommt. Victor und André sind ebenfalls sehr sympathische Männer, die jeder auf seine Weise Marie unterstützen und ihr Halt geben. Auch die auftauchenden Nebenprotagonisten sind interessant platziert und geben mit ihren Handlungen Fragen auf oder tragen zum Verlauf bei.
„Der Brief“ ist ein spannender Debütroman, der rasant durch die Handlung fegt und den Leser in Atem hält. Leider geht ihm am Ende die Luft aus, so dass der Leser sich sein Ende selbst denken muss mit jeder Menge Fragen im Gepäck. Eine Leseempfehlung für alle, die sich davon nicht einschüchtern lassen!