Rezension

Niemand ist perfekt!

Stell dir vor, dass ich dich liebe - Jennifer Niven

Stell dir vor, dass ich dich liebe
von Jennifer Niven

Bewertet mit 4.5 Sternen

Das Cover fällt gleich ins Auge, wegen seiner knalligen Farbe und auch der verspielte Inhalt des Sterns zeigt eine sehr romantische Szene. Doch die Handlung basiert auf problematischen Themen und ist nicht so rosarot und weichgespült, wie es das Cover vermuten lässt. Die Protagonisten bieten einiges an Zündstoff für eine emotionale Achterbahnfahrt der Gefühle.

Jack erkennt nicht mal seine engsten Familienmitglieder am Gesicht und muss sich deshalb an Äußerlichkeiten orientieren, was man als neurologische Störung im Gehirn mit dem Namen Prosopagnosie bezeichnet. Libby hat schon Schlagzeilen als Amerikas dickster Teenager gemacht. Trotz einer sensationellen Gewichtsabnahme wiegt sie immer noch viel zu viel, um von anderen Jugendlichen akzeptiert zu werden. Zumal sie neu an die Schule kommt. Durch ein idiotisches und entwürdigendes "Spiel" treffen Jack und Libby im wahrsten Sinne des Wortes aufeinander...

Den Anfang macht ein kurzer Brief, den Jack an Libby schreibt und man kann sich da bereits vorstellen, dass er Libby wehtun und sie enttäuschen wird. Wie es dazu kommt, wird in Rückblenden abwechselnd aus der Sicht von Libby und Jack erzählt. Dazwischen sind auch immer wieder Zeitsprünge, denen man aber gut folgen kann. Schon nach wenigen, kurzen Beschreibungen der beiden Hauptpersonen, konnte ich mich gut in sie hineinversetzen und ihre Probleme nachvollziehen, weil sie sehr ehrlich und schonungslos von ihren Erfahrungen berichten. Der Schreibstil ist direkt und ohne Schnörkel, mit einigen witzigen Sprüchen gewürzt, die sehr unterhaltsam zu lesen sind. Auch die authentischen und lebensnahen Dialoge sind glaubhaft. Über Jacks Listen, die manchmal passend zu dem gerade Gelesenen auftauchen, musste ich richtig lachen. Sie sind aufschlussreich, witzig und lockern die Kapitel zusätzlich auf.

Libby ist ein bewundernswert schlagfertiges Mädchen, die keine Opferrolle einnehmen will und sich in schwierigen Situationen hervorragend behaupten kann. Jack dagegen, hält seine Krankheit vor allen geheim. Er hat Angst vor Ausgrenzung und Mobbing, was ich im Hinblick auf seine Mitschüler noch verstehen kann, aber seine Familie und enge Freunde müssten doch Bescheid wissen. Das würde ihm das Leben erleichtern! Er ist sehr erfinderisch, wenn es darum geht, Menschen zu erkennen. Die Tricks, die er anwendet, zeugen von Intelligenz, aber er stößt damit bald an seine Grenzen.

Es treten einige sehr interessante und liebenswerte Nebencharaktere auf, die man gleich ins Herz schließt. So sind Jacks Bruder Dusty, der Gesprächskreisleiter Mr. Levine und Libbys Therapeutin Rachel wichtige Personen, die sie in ihrer Entwicklung begleiten und unterstützen. Was mir an der Liebesgeschichte sehr gut gefallen hat, war die dezente Annäherung von Libby und Jack. Das Verlieben ist hier keine unrealistische Kitschromanze, sondern basiert auf einer langsam und behutsam aufgebauten Freundschaft. Das ist viel angenehmer zu lesen, als in den meisten Teenie-Romanen, wo sich die Paare schockverlieben. An manchen Stellen war die Handlung etwas unglaubwürdig, was mich aber nicht so gestört hat, weil es mit wunderbaren Lesemomenten wieder ausgeglichen wurde. So fand ich z.B. die ausdrucksstarken Zitate, die im Text immer wieder auftauchen und die es wert sind, gesondert aufgehoben zu werden, sehr inspirierend.

Ein unterhaltsames und doch tiefgründiges Buch, mit eindrucksvollen Charakteren und einem romantischen Ende, was die Geschichte für mich befriedigend rund machte. Dieses Buch sollten alle lesen, die sich nicht erwünscht fühlen und auch gerade diejenigen, die ihnen dieses Gefühl vermitteln!