Rezension

Nimmt im letzten Drittel Fahrt auf

Lichter als der Tag - Mirko Bonné

Lichter als der Tag
von Mirko Bonné

Bewertet mit 4 Sternen

Die Freunde trafen sich als Kinder in einem verwilderten Garten in einem Dorf bei Berlin, der inzwischen längst unter dem Asphalt eines Parkplatzes verborgen ist; Raimund, Moritz und Floriane. Später kam nach dem Tod ihrer Eltern aus Dänemark Inger ins Dorf, die besonders Floriane unter ihre Fittiche nahm. Raimund ist heute mit der erfolgreichen Kieferorthopädin Floriane verheiratet, die immer schon darauf achtete, was später einen guten Eindruck im Lebenslauf machen würde. Obwohl Raimund damals Inger liebte, hat er seit Jahren nichts von ihr gehört. Während Floriane zielgerichtet auf ihrem von der Familie vorgegebenen Weg marschierte und dazu auch ein Studium in England auf sich nahm, ist Raimund Entscheidungen möglichst aus dem Weg gegangen. Weder mit seinem ungewöhnlichen Blick für Gemälde und Lichtverhältnisse noch mit seiner Liebe zur Biologie scheint Raimund irgendetwas erreicht oder seinen Platz im Leben gefunden haben. Seine Tätigkeit für ein Hamburger Magazin ließ für mich jedenfalls mehr Fragen offen, als sie über Mirko Bonnés Hauptfigur verriet. Intensiv kann man als Leser der Freundschaft zwischen Raimund und seinem Kollegen Bruno DeWitt folgen, auch diese Freundschaft zeigt, dass Raimund schwer erkennen kann, wer ihn schätzt und welche Beziehungen gut für ihn sind.

Nachdem im ersten Teil das aktuelle Verhältnis der vier Jugend-Freunde als ungefähr 50-Jährige beschrieben wurde, folgt im mittleren Teil die Analyse des Konflikts durch einen Rückblick auf die offenbar falsche Partnerwahl in ihren Ehen. Warum seit langer Zeit Funkstille zwischen den Paaren herrscht, fand ich teils vorhersehbar, teils genügte es mir nicht als Mittelteil eines Romans, der auf der Longlist zum deutschen Buchpreis vertreten ist. Mir fehlte, was die Zahnärztin, den Redaktionsmitarbeiter, den Architekten und die Künstlerin ausmacht und was es bedeutet, mit 50 Jahren auf Fehleinschätzungen und falsche Entscheidungen zurückzublicken.

Raimunds Sich-Treiben-Lassen im Windschatten einer erfolgreichen Frau aus bürgerlicher Familie fand ich im ersten Drittel ausgesprochen öde, weil sich bis zu diesem Punkt seine Ziele und seine Talente im Unscharfen verlieren und seine Frau allenfalls als Kulisse dient. Misslungen fand ich die Darstellung von Kindern im Roman. Beide Paare haben zusammen 3 Töchter, die um die 11 Jahre alt sind, sich selbst als Jugendliche sehen, aber dargestellt werden, als wären sie 8. Erst im dritten Teil nahm die Handlung für meinen Geschmack Fahrt auf, als Raimund Hamburg verlässt und zu seinem Lebensthema zurückkehrt, der Bedeutung des Lichts in der Malerei.

Nachdem man mehr als die Hälfte des Romans überstanden hat, werden die Handlungsfäden sorgfältig entwirrt und Szenen fügen sich nachträglich harmonisch und sinnvoll zu einem Ganzen, die man bis dahin für unfertig gehalten haben könnte. Stilistisch fand ich meinen ersten Roman von Mirko Bonné lesenswert. Mit dem Motiv der Wahlverwandtschaften für das Buch zu werben, finde ich nicht unbedingt glücklich. Man sollte sich besser auf die Lektüre des Romans einlassen, ohne vorher zu viel darüber gelesen zu haben.