Rezension

Ohne Erinnerungen im Koma gefangen

Nachts, wenn mein Mörder kommt - Deborah Bee

Nachts, wenn mein Mörder kommt
von Deborah Bee

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ein besonderes Buch, wie ich es noch nie gelesen habe

Sarah Beresford liegt im Koma. Die 28-Jährige hat ihr Gedächtnis verloren. Sie erinnert sich an nichts. Sie kann nicht sehen, nicht sprechen und sich nicht bewegen. Sie weiß nicht, wie sie aus diesem Zustand herauskommt. Aber sie bekommt in ihrem Bett in einem Londoner Krankenhaus mit, was um sie herum gesprochen wird. Sie findet heraus, dass ihre schweren Verletzungen kein Unfall waren. Und dass die Polizei nach ihrem Angreifer sucht. Ihr Mann Adam wurde tot gefunden. Was ist bloß passiert? Was hat ihre 14-jährige Nachbarin und Freundin Kelly McCarthy mit all dem zu tun? Und wird sie dieser unheimliche Mann umbringen, der mehrfach in ihr Krankenzimmer geschlichen kommt? Sarah versucht, ihren eigenen Fall zu lösen.

„Nachts, wenn mein Mörder kommt“ ist der Debütroman von Deborah Bee.

Meine Meinung:
Das Buch beinhaltet 47 relativ kurze Kapitel. Erzählt wird jeweils aus der Ich-Perspektive – abwechselnd aus der Sicht von Sarah und der von Kelly. Die Handlung erstreckt sich über zwölf Tage. Der Aufbau der Geschichte hat mir sehr gut gefallen.

Der Schreibstil differenziert zwischen den altersmäßig sehr unterschiedlichen Hauptprotagonistinnen. Während die Kapitel zu Sarah authentisch die Verwirrung und Angst der verletzten Frau widerspiegeln und einige tolle Metaphern enthalten, sind die Kapitel zu Kelly in Jugendsprache verfasst und erzählerisch etwas chaotisch. Mir fiel es leicht, mich in die Gedanken- und Gefühlswelt der beiden einzufinden und in die Geschichte einzutauchen.

Die beiden Hauptcharaktere, Sarah und Kelly, passen auf den ersten Blick überhaupt nicht zusammen. Die hübsche und gebildete Sarah wirkt in dem Londoner Problemviertel South Tottenham, wo auch Kelly mit ihrer Mutter Brenda und dem kleinen Bruder Billy wohnt, total deplatziert. Doch schnell war meine Neugier daran geweckt, was die beiden verbindet. Die Kombination der zwei Charaktere empfinde ich als reizvoll. Auch die übrigen Figuren werden glaubwürdig dargestellt.

Die Grundidee des Romans ist äußerst originell und hat sofort meine Aufmerksamkeit erregt. Aus der Sicht einer Person mit dem „Locked-In-Syndrom“ erzählen zu lassen und das mit einem Kriminalfall zu verknüpfen, das ist nach meiner Ansicht ein tolles Konzept. Das macht „Nachts, wenn mein Mörder kommt“ zu einem besonderen Buch, wie ich es noch nie gelesen habe.

Die Geschichte ist absolut schlüssig und realitätsnah. Es wird eine Vielzahl an Fragen aufgeworfen und es gibt mehrere Wendungen, so dass mich das Buch fesseln konnte. Ich habe mich beim Lesen zu keiner Zeit gelangweilt. Die Probleme, die im weiteren Verlauf der Geschichte ans Licht kommen, konnten mich bewegen und regen zum Nachdenken an. Die psychologische Tiefe ist ein weiteres Plus des Romans.

Mein einziger Kritikpunkt ist die Verkaufsstrategie des Buches, das als „Thriller“ vermarktet wird. Dadurch bin ich mit anderen Erwartungen herangegangen. Tatsächlich handelt es sich um einen gut gemachten Roman mit viel subtiler Spannung, nicht aber um einen klassischen Thriller. Zudem ist der deutsche Titel absolut irreführend und längst nicht so treffend wie das englische Original („The Last Thing I Remember“). Das ist etwas schade, denn es handelt sich um einen wirklich ungewöhnlichen und lesenswerten Roman, der einen solchen Etikettenschwindel gar nicht nötig hat. Einen vollen Stern möchte ich jedoch dafür nicht abziehen.

Mein Fazit:
„Nachts, wenn mein Mörder kommt“ von Deborah Bee ist ein Spannungsroman, der ganz anders als vermutet ist. Dennoch konnte mich die Geschichte überzeugen und überraschen. Wer es mit dem Label „Thriller“ nicht so genau nimmt, den erwartet eine außergewöhnliche, empfehlenswerte Lektüre, die noch eine Weile nachhallen wird.