Rezension

Olga beobachtet und Herbert rennt

Olga - Bernhard Schlink

Olga
von Bernhard Schlink

»Sie macht keine Mühe, am liebsten steht sie und schaut.«  So lautet der erste Satz. Und er beschreibt Olga außerordentlich gut.

Das Mädchen Olga beobachtet, um zu verstehen. Von der Nachbarin lernt es lesen und schreiben noch bevor es in die Schule kommt. Olga wächst in Armut auf. Ihre Eltern versterben früh. Die Mutter ihres Vaters nimmt sie zu sich nach Pommern, wird ihr jedoch nie zur Großmutter, von der Olga Freundlichkeit und Liebe erfahren kann. Es ist die Zeit des Deutschen Kaiserreichs. Olga ist wissensbegierig, sie saugt alles ein, was ihren Horizont erweitert. Ihr ist bewusst, dass ihr nur Bildung zu einem besseren Leben verhelfen kann. Sie befreundet sich mit Herbert und Viktoria, den Kindern des Gutsbesitzers. Die beiden brauchen eigentlich niemanden. Zu Olga lassen sie sich jedoch herab, denn sie ist anders, als die anderen Kinder.

Während Olga verharrt und beobachtet, rennt Herbert durchs Leben. Er liebt es zu laufen, immer schneller und schneller. Herbert und Olga verlieben sich ineinander, was natürlich nicht geht, weil nicht standesgemäß. Olga erkämpft sich trotz aller Widrigkeiten eine Ausbildung zur Lehrerin. Herbert liebt das Abenteuer, ihn zieht es in die Ferne. Von einer Expedition zur Arktis kehrt er nicht wieder zurück.

Der Roman gliedert sich in drei Teile. Der erste Teil erzählt Olgas und Herberts Lebens- und Liebesgeschichte. Der zweite Teil wird aus der Sicht des jungen Ferdinand erzählt. Es ist die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg. Olga hat ihr Gehör verloren, liest von den Lippen ab. Sie muss ihren Beruf als Lehrerin aufgeben und verdient sich nun durch Näharbeiten ihren Lebensunterhalt, auch bei Ferdinands Familie. Im dritten Teil wird es noch einmal richtig spannend. Er besteht aus den Briefen, die Olga ihrem vermissten Geliebten nach Tromso geschickt hat.

Mir gefällt die Hauptprotagonistin sehr. Olga ist eine starke Frau. Sie weiß was sie will und geht ihren Weg trotz aller Widerstände. Herbert dagegen ist ein Gutsbesitzersohn, dessen Weg eigentlich vorbestimmt ist, den er jedoch ablehnt. Er möchte sein eigenes Ding machen. Seine Sehnsucht ist die Weite, das Nichts. Er will sich im Nichts verlieren. Olga sagt später zu Ferdinand: „In ihm rannte es, und ich musste daneben herrennen.“

Der Roman liest sich leicht und flüssig. Ich habe ihn gerne gelesen. Er hat mich berührt und zum Nachdenken gebracht. Stimmung und Zeitgeist kamen sehr gut rüber. Mein Lieblingszitat von Olga lautet: „Du kannst aus dem, was dir gegeben ist, nicht das Beste machen, wenn du es nicht annimmst.“ Wie wahr.

Fazit: Kein leichtes Lesefutter, eher ein Roman für Leser, die gute Lektüre bevorzugen.