Rezension

Oliver Bodenstein hautnah

Im Wald - Nele Neuhaus

Im Wald
von Nele Neuhaus

Bewertet mit 4 Sternen

„Im Wald“ ist der achte Fall rund um das Taunusermittlerduo Pia Sander und Oliver von Bodenstein und vor allem für Bodenstein ist es der Persönlichste! Kurz vor dem Antritt seines Sabbatjahrs werden der Bruder und die Mutter eines Kinderfreundes ermordet. Die Ermittlungen führen Oliver und Pia in Bodensteins Kindheitsdorf, von dem er sich emotional schon lange verabschiedet hat und dass aus gutem Grund: sein bester Freund Arthur verschwand vor über 40 Jahren spurlos und er trägt deswegen noch heute Fragen und Schuldgefühle mit sich herum. Als sich schließlich herausstellt, dass die Morde und das Verschwinden Arthurs tatsächlich miteinander zu tun haben, ist Bodenstein geschockt. Und Pia muss sich fragen, ob ihr Kollege überhaupt in der Lage ist ihr und ihrem Team noch objektiv zu helfen.

Schon einige Jahre begleite ich nun schon das unterschiedliche Ermittlerduo und stets war ich angesteckt von Pias Begeisterung für diesen Job, wie sie sich in die Ermittlungen hineinkniet, wie sie einen unheimlichen Instinkt entwickelt und wie sie schließlich vor lauter Enthusiasmus öfters auch schon mal über das Ziel hinausschießt. Und vor allem musste sie ständig dann einschreiten, wenn Oliver Bodenstein mal wieder mehr mit sich selbst und seinen privaten Problemen beschäftigt ist als mit den Ermittlungen, so dass ich so manches Mal an seiner Stellung als „Chef“ zweifeln musste. Und dieser Band scheint nun alles zu sein, wo genau diese Beobachtungen hinauslaufen mussten. Es ist Bodensteins persönlichster Fall und er ist der Held dieses Falls und das war verdammt noch mal Zeit!

Positiv vorweg erwähne ich gleich, dass es mir sehr gut gefallen hat, dass eine Personenliste und eine Karte des Ermittlungsgebiets vor der Geschichte bereits präsentiert wurde. Viele Figuren sind man bei Nele Neuhaus gewohnt, aber dieser Fall schießt noch einmal den Vogel ab, so dass ich die Personenliste wirklich mehr als dankbar angenommen habe. Und eine Karte, damit Leser ohne ausgeprägte Vorstellungskraft, sich ein Bild machen können, ist natürlich auch ein nettes Gimmick.

Die Erzählweise ist für Nele Neuhaus typisch, aber mir fiel dennoch im Vergleich auf, dass verhältnismäßig wenig Perspektiven geboten werden. Die ganze involvierte Dorfgemeinschaft bleibt so im Dunklen, im Fokus stehen eher die Zeugen und eben die Ermittler, so bleibt alles übersichtlich, aber plottechnisch spannend.

Der Fall ist genauso konstruiert, wie ich es liebe: ein Fall, der so verzwickt ist, dass mehrere Generationen involviert sind, dass eine ganze Dorfgemeinschaft betroffen ist, in der jeder mit jedem verbunden ist bzw. abhängig, so dass die Eingeschworenheit schlicht undurchbrechlich erscheint. Und der Fall war auch so spannend konstruiert, mit einigen Wendungen, so dass auch ich einige Male meine Tätervermutung revidieren musste und eine Auflösung, die wirklich so spät wie möglich erfolgt und mich dann auch vollkommen überraschte, so dass ich sagen muss, perfekt gemacht!

Neben einem starken Fall überzeugt mich dann die bereits erwähnte Fokussierung auf die Ermittler und vor allem Oliver Bodenstein. Gleich das erste Kapitel ist ihm gewidmet und man merkt schnell, dass Pia zwar ordentlich zu den Ermittlungen beiträgt, dass ihre Karriere vorangetrieben wird, aber ansonsten bleibt sie privat außen vor. Es ist eben Oliver Bodenstein, der hier einen Großteil der Geschichte trägt. Und durch den persönlichen Fall dringt man auch endlich mal in seine Persönlichkeit tiefer ein. All seine persönlichen Verwicklungen trafen sich an dieser Stelle und die Erklärung seiner Kindheit lässt natürlich auch viel seiner Persönlichkeit erklären. Er wurde verletzlich und damit sehr menschlich charakterisiert und er hat sich mit solch einem Feuereifer agiert, dass ich endlich nachvollziehen konnte, warum er den Job des Polizisten überhaupt ergriffen hat.

All diese Aspekte machen deutlich, dass ich sehr überzeugt von „Im Wald“ bin und diesen achten Band als deutliche Steigerung zu „Die Lebenden und die Toten“ sehe. Dennoch gibt es keine fünf Sterne von mir, denn „Im Wald“ bietet auch einige logische Lücken bzw. eingeworfene Handlungsrichtungen, die dann einfach nicht beendet wurden. Hier sei nur die Tatsache erwähnt, dass die Eltern von Oliver durch Personenidentifizierung von Fotos zu den Ermittlungen beitragen, die Fotos werden letztlich jedoch vollkommen unter den Tisch gekehrt. Tatverdächtige werden an den Offensichtlichsten Orten nicht vermutet und Zeugen vergessen vollkommen in Vergessenheit, obwohl sie noch offizielle Aussagen machen müssten.

Fazit: „Im Wald“ ist mit eines der besten Bände von Nele Neuhaus. Endlich wird die zweite Hauptfigur zur wirklichen Hauptfigur und man begreift endlich, wer dieser Mann eigentlich ist. Der Fall ist richtig gut konstruiert und fast bis zum bitteren Ende bleibt der Täter im Dunkel. Dennoch sind logische Lücken nicht zu leugnen, so dass man erahnen kann, dass die Ermittlungen etwas künstlich gestreckt wurden. Aber das schmälert das Lesevergnügen nur minimal.