Rezension

Packender Roman vor historischem Hintergrund

Underground Railroad
von Colson Whitehead

Bewertet mit 4 Sternen

Cora wurde als Sklavin auf der Randall-Plantage geboren und ist zu Beginn des Buches etwa 16/17 Jahre alt. Ihre Großmutter stammte aus Benin /Westafrika und wurde häufig verkauft, bis sie auf der Randall-Plantage ihre letzte Station fand. Coras Mutter Mabel war die einzige Sklavin der Randall-Plantage, der die Flucht gelang. Dies geschah fünf Jahre vor Beginn des Buches und Cora lebt seitdem – selbst zwischen ihren Leidensgenossen – ein sehr einsames und isoliertes Leben.

Nach einer Gruppenvergewaltigung durch andere Sklaven ist sie traumatisiert und kann nur schwer Nähe zulassen. Als sie eines Abends von Ceasar - einem anderen Sklaven - gefragt wird, ob sie ihn bei seiner Flucht begleitet (durch die gelungene Flucht ihrer Mutter stellt sie für ihn eine Art „Glücksbringer“ dar), verneint Sie. Durch einige brutale und sadistische Vorfälle auf der Plantage ändert sie ihre Meinung. Die Flucht über die geheime Underground Railroad bringt Cora in mehrere Staaten, in denen sehr unterschiedlich mit ehemaligen Sklaven umgegangen wird.

„Die meisten Leute glauben, es ist nur eine Redewendung. [...] Der Untergrund“ (S. 343)

Ich hatte mich sehr auf das Buch gefreut und erhofft, mehr von den geschichtlichen Hintergründen der „Underground Railroad“ zu erfahren, weshalb ich etwas enttäuscht war, dass der Autor diese etwas abgewandelt hat. Diese Info konnte ich dem Leseexemplar entnehmen. In der eigentlichen Veröffentlichung wird es kein geschichtliches Vorwort geben.
Zur Zeit der Sklaverei wurden Codes in Form von Bahnbegriffe wie Passagiere (Geflüchtete) und Stationsvorsteher (Fluchthelfer) verwendet, um im geheimen kommunizieren zu können. Diese Codierung hat Whitehead wörtlich genommen, weshalb die Unterground Railroad im Buch Bahngleise und Züge darstellen. In der Realität erfolgte die Flucht über Pferdewägen, Schiffe und ähnliches.

Die Kapitel wechseln zwischen langen und kurzen Kapiteln, wobei die langen Kapitel Coras Blickwinkel, ihre Geschichte und ihren Fluchtweg beschreiben. Die kurzen Kapitel geben Einblick in andere Charaktere, mit denen Cora zu tun hatte. Diese anderen Blickwinkel waren zum Teil hilfreich und erhellend um ein globaleres Bild von den Gegebenheiten zu bekommen.

Geraubte Körper bearbeiten geraubtes Land. Es war eine Maschine, die niemals stillstand, ihr gieriger Kessel wurde mit Blut beschickt. Mit den chirurgischen Eingriffen [...] hatten die Weißen ernsthaft begonnen, Menschen ihre Zukunft zu rauben. (S. 138)

Das Buch hallt nach. Nicht nur in Bezug auf Sklaverei, sondern auch den für mich neuen Aspekt der medizinischen Experimente an der schwarzen Bevölkerung. Auch Zwangssterilisationen sind ein Buch ein Thema, welches als Instrument der „Geburtenkontrolle“ angewendet werden sollte. Perfide ist dabei auch die genau umgedrehte Seite auf den Plantagen, auf denen Kinder als Sklavennachkommen und weitere Arbeitskräfte durchaus gewünscht waren.

Wem es nichts ausmacht, dass Colson Whitehead die Geschichte nicht einwandfrei historisch aufgebaut hat, bekommt ein fesselndes Buch, über welches man nach Beendigung sprechen möchte.