Rezension

Pb Liebe immer Dativ ist?

Die Grammatik der Rennpferde - Angelika Jodl

Die Grammatik der Rennpferde
von Angelika Jodl

Bewertet mit 4 Sternen

Salli Sturm ist Deutschlehrerin, ohne akademischen Titel, an einem Institut und unterrichtet ausländische Studenten. Sie ist Single, Anfang fünfzig, führt eine langjährig gute Beziehung zur deutschen Grammatik, liebt flüsterstille Bibliotheken und ihre linguistischen Endorphine bezieht sie aus Wörtern und Satzbau. Ihre Assistenten sind ein Rudel wilde Tiere, denen sie Wortarten zugeordnet hat. Salli ist pflichtbewusst, friedfertig und glücklich auf ihre Weise. Einsamkeit wischt sie mit Schnulzenfilmen davon, bis sie eines Tages die Idee zu einem sprachwissenschaftlichen Projekt entwickelt.

Eine Anzeige bringt Salli mit dem Russlanddeutschen Sergey zusammen, der Pferdeställe ausmistet. Sergey kennt keine Artikel, bildet Sätze mit Hilfe eines ausgedachten Konjugationssystems und er lässt Verben stets gefährlich taumeln. Für Salli ist der Pferdeknecht ein idealer Proband, dessen Sprache irreparabel defekt erscheint.

Salli unterrichtet Sergey, ohne ihm zu erklären, dass er ihr Proband für das sprachliche Studium ist. Umgekehrt verheimlicht Sergey Salli, dass er sie zum Kauf eines Pferdes und Hofes benötigt. Langsam, ganz langsam nähern sich die beiden einander an und bald wendet sich das Blatt, denn Sergey unterrichtet plötzlich Salli in Sachen Pferd.

Die Autorin:

Angelika Jodl unterrichtet Studenten aus aller Welt in Deutsch. Außerdem schreibt sie Geschichten, hält Vorträge zur deutschen Sprache und reitet ein ausgemustertes Rennpferd. Sie lebt mit Mann, Sohn, Hund und Katzen in München. (quelle: dtv Verlag)

Reflektionen:

Die Grammatik der Pferde ist für mich ein Roman der nicht nur genrefremd ist, sondern auch noch von einer, für mich normalerweise entbehrlichen, Liebesgeschichte erzählt. Aber, bereits nach den ersten Buchseiten, hatte ich diesen herzerwärmenden Roman in mein Leserherz geschlossen, worin er noch sehr lange und angenehm nachklingen wird.

Das Autorin Angelika Jodl Deutsch unterrichtet spürt man als Leser sofort, denn sie schreibt ausdrucksstark, sprachgewaltig und in einer wunderschönen Satzmelodie. Literarisch anspruchsvoll erzählt Angelika Jodl die rührende und amüsante Geschichte zweier Figuren, die menschlich und kulturell unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie zeichnet auch eine Abhandlung darüber, wie missbräuchlich man andere Menschen zu brauchen vermag.

Herzzerreißend amüsant sind vor allem die Dialoge, die Sergey und Salli miteinander führen, denn Sergey spricht nicht nur ein gebrochenes Russlanddeutsch, sondern er akzentuiert seine Sprache mit einem oberbayrischen Dialekt, sodass einem das Herz vor Schmunzeln aufgeht.

Neben der wunderbar warmherzigen Sprache des Romans, hat die Autorin authentische Figuren erschaffen, deren glaubwürdige Charaktere intensiv und fein gezeichnet sind. Dadurch dekoriert sie dem Leser eine emotionale Bühne und erlaubt ein tiefes abtauchen in die Seelen und Herzen der beiden Hauptfiguren, in denen man sich pudelwohl fühlt.

Salli, eher ein graues, unscheinbares Mäuschen, dass außer ihren Dozenten-Kollegen kaum soziale Kontakte pflegt, beginnt Sergeys Sätze als sogenannte Vorhersätze aufzuzeichnen, um diese dann in Mustersätze zu verwandeln, mit denen sie Sergey unterrichten möchte. Doch es kommt ganz anders, denn Sergey, ein ehemals erfolgreicher Jockey, benötigt Salli zum Kauf einer Stute und gibt zunächst nur vor Deutsch lernen zu wollen. Letztendlich unterrichtet Sergey Salli in Sachen Stall und Pferd und ist ursächlich dafür verantwortlich, dass sie pflichtvergessend den Duft des Stalls zu lieben beginnt.

Angelika Jodl gelingt es durch die bildhafte Sprache, dass man sich den etwas einsilbigen, schroff wirkenden Pferdeknecht, und sogar seine selten lächelnde Mimik, gut vorstellen kann. Auch Sallis ständig entgleitende Gesichtszüge, bereiten dem Leser ein angenehmes Kopfkino.

Die Dialoge sind gelungene Schlagabtausche, die dafür sorgen, dass sich die Handlung zwischenmenschlich immer weiter ineinander verstrickt. Letztendlich verknäueln sich die Figuren ineinander und nur das Band der Liebe führt Sergey und Salli zurück zu einem wunderschönen Anfang.

Zitate:

„Gibt Rede bei uns in Russland“, sagt Dyck. „Kamma Ziege Krawatte umbinden. Aber dann bleibt auch Ziege.“ „Aber schlecht is wirklich net. Boxen passen für Viecher. Bloß mit Scheune – weiß i net, ob glangt die Platz. Kamma nix sehen, da drin is dunkel wie in Arsch von Neger. Aber glaub i schon, dass is genug. Also, was machma?“

„Salli“, unterbricht sie Sergey leise lächelnd. „Willst du erklären mir, wie geht Pferd halten?“ „Ich doch nicht! Das steht hier. In diesem Buch!“ Buch – wann geht um Ohren waschen, du schaust auch in Buch rein?“

„Ich weiß überhaupt nicht genug. Ich kann gar nicht reiten! Was mache ich, wenn das Pferd mit mir durchgeht?“ „Sagst du brrr, dann steht gleich.“ „Und wenn nicht?“ Is gute Pferd. Wird sie stehe.“

Mein leben

Als ich Kind, ich hatte schöne leben. Später schwieriger, weil ich muss Geld verdint für ganze familie. Auf Rennbahn ist wider besser worden. Aber jetzt in Deutschland ist alles problem. So man kann sagen: mein Leben ist gestreift.

Fazit und Bewertung:

Die Grammatik der Rennpferde ist ein herzerwärmender Roman, der zwei Figuren aufeinanderprallen lässt, die menschlich und kulturell nicht unterschiedlicher sein könnten. Knackige Dialoge, ein Mischmasch aus Deutsch, Russisch und Oberbayrisch, kreieren einen amüsanten Lesegenuss und eine wunderschöne, überzeugende Liebesgeschichte.