Rezension

Poetische Fantasy mit großen Gefühlen

Der Mann, der den Regen träumt - Ali Shaw

Der Mann, der den Regen träumt
von Ali Shaw

Bewertet mit 5 Sternen

"Der Mann, der den Regen träumt" ist der zweite Roman des britischen Autors Ali Shaw und befasst sich inhaltlich mit einer ebenso märchenhaften Fantasy-Geschichte wie sein Debütroman, "Das Mädchen mit den gläsernen Füßen". Da die ähnliche Gestaltung der Bücher dies vielleicht vermuten lassen könnte, möchte ich aber darauf hinweisen, dass es sich bei den beiden Romanen des Autors um eigenständige Werke handelt, die unabhängig voneinander gelesen werden können.

Inhalt: Nachdem ihr Vater gestorben ist, beginnt Elsa sich in New York nicht mehr wohlzufühlen. Sie beschließt, ihr altes Leben hinter sich zu lassen und in dem kleinen Ort Thunderstown inmitten eines Gebirges ganz neu anzufangen. Thunderstown ist allerdings eine seltsame Gemeinde, deren abergläubische Bewohner einen ewigen Kampf gegen Ziegen und das Wetter führen. Bei einer Wanderung durch die Berge lernt Elsa Finn kennen, der sich vor ihren Augen auflöst - einfach zu Nebel wird. Denn auch Finn ist nicht gewöhnlich. Er hat ein Geheimnis, das ihn zu einem einsamen Leben in den Bergen zwingt, und Elsas Gefühle für ihn werden auf eine harte Probe gestellt, denn Finn ist nicht ungefährlich...

Nach diesem zweiten Roman des Autors kann ich wohl kaum noch abstreiten, dass ich ein großer Fan seiner Geschichten - kleine, Fantasy-angehauchte Märchen voller Skurrilität und großer Gefühle - bin. Nachdem er mich im letzten Jahr mit "Das Mädchen mit den gläsernen Füßen" verzaubert hat, bin ich mit entsprechend hohen Erwartungen an sein neues Werk herangegangen und wurde absolut nicht enttäuscht. "Der Mann, der den Regen träumt" ist etwas rücksichtsloser, etwas direkter, als das Debüt, aber insgesamt ebenso zauberhaft.

Besonders auffällig ist dabei Shaws Stil, der sich nicht nur durch eine sehr bildhafte, fast poetische Sprache kennzeichnet, sondern auch durch eine traurige, schwere Atmosphäre, in der die sehr romantische - aber auch tragische - Beziehung der Protagonisten für Lichtblicke sorgt. Die Fantasy-Elemente werden dabei von Shaw kaum erläutert oder auf ihre Herkunft hin hinterfragt, was aber für die Sogwirkung dieser Geschichte auch gar nicht nötig ist. Stattdessen kann der Leser, der die Einzigartigkeit des vom Autor entworfenen Ortes als gegeben akzeptiert, in eine phantasievolle Welt eintauchen, in der Elsas neuer Lebensweg und das Aufkeimen einer zarten Liebe mit dem kuriosen Wetter Thunderstowns, verkörpert durch verschiedene Lebewesen, verflochten werden. Der Autor besitzt ohne Zweifel ein Talent dafür, eine Geschichte voller Magie zu erschaffen und durch die Leichtigkeit der von ihm erdachten Phänomene verträumt und doch real wirken zu lassen.

Die Charaktere in "Der Mann, der den Regen träumt" sind in ihrem Handeln nicht immer leicht verständlich. Jeder hat seine Geschichte, oft geprägt von einer guten Portion Tragik, die der Autor nur langsam enthüllt. Ob nun Elsa, die den Verlust ihres Vaters verarbeitet, Finn, der noch vor seinem Rückzug in die Isolation einen wichtigen Mensch verloren hat, oder Daniel, der zwiegespalten ist zwischen den Traditionen von Vater und Großvater und seinen Verpflichtungen als Jäger, der die Gemeinde vor den Tieren aus den Bergen schützen muss, alle haben ihre interessante Vergangenheit. Shaw verleiht jedem seiner Charaktere viel Tiefe, lässt ihm aber auch über lange Strecken seine Geheimnisse, sodass man als Leser doch immer wieder von der Entwicklung der Protagonisten überrascht wird und die Spannung in der ansonsten eher ruhig gehaltenen Handlung nicht verloren geht. Während mir von "Das Mädchen mit den gläsernen Füßen" besonders die Sanftheit, aber auch die Tragik, der Geschichte in Erinnerung blieb, hinterlässt Shaws zweiter Roman einen etwas skrupelloseren Eindruck. Die Figuren haben teilweise unsympathische Züge und zudem ist die Handlung ein wenig grausamer und auch gruseliger - ein bisschen handfester - als im Debüt. Dennoch steht sie diesem in seiner Fähigkeit den Leser mitzureißen und mit der fremden Welt ein wenig zu verzaubern in nichts nach.

Fazit: Wieder ein sehr tiefgehender Roman von Ali Shaw, der durch seine tragisch-romantische Geschichte in fast poetischer, sehr bildhafter Sprache verzaubert. Dezente Fantasy-Elemente verleihen der märchenhaften Handlung den letzten Schliff. Ich bin begeistert und kann das Buch nur weiterempfehlen. 5 Sterne - bitte lesen!