Rezension

Poetische Herangehensweise an ein ernstes, aktuelles und emotional mitreißendes Thema

Feuerfrühling
von Peer Martin

Bewertet mit 3.5 Sternen

! ACHTUNG - ENTHÄLT SPOILER ZU DEN VORGÄNGERN !

Inhalt:

Nachdem Nuri und Calvin sich endlich gefunden haben, leben sie jetzt in Arsal, einer Stadt im Libanon, gemeinsam mit den anderen. Doch das ist nur vorübergehend, und als der IS auch hierhin seine Fänge auswirft, beschließen sie, dass sie endlich zurück nach Deutschland fliehen müssen. Doch es gibt zu viele Flüchtende überall, zu viele Grenzen sind längst dicht, und so sind sind sie nur eine Gruppe von vielen, die nach Deutschland wollen.
Gleichzeitig haben die Erlebnisse Spuren an Calvin hinterlassen, die Wut und Gewalt in ihm wecken. Kann seine Beziehung zu Nuri trotz allem bestehen? Und schaffen sie es, rechtzeitig zum Prozess wieder in Deutschland zu sein?

Meine Meinung:

Irgendwie hat der dritte Band all das bestätigt, wovor ich insgeheim Angst hatte. Ich meine, genaugenommen hat es der zweite Band auch schon, aber erst hier wurde das wirklich deutlich. Und zum Ende dieses Teiles hin hatte ich teilweise wirklich den Gedanken, dass ich es beim ersten Band hätte belassen sollen, dass ich ihn so grandios in Erinnerung hätte halten sollen, wie er war, dass ich auf mein Bauchgefühl hätte hören sollen.
Und ja, ein Stück weit würde ich das Leser*innen auch fast empfehlen, auch wenn man nach dem zweiten wohl auch noch den dritten lesen kann, denn dazwischen tut sich nichts. Ich kann auch nicht sagen, ob es daran liegt, dass ich den ersten Teil so glorifiziert habe, aber ich versuch jetzt einfach mal, meine Gedanken in Worte zu fassen.

Ich hatte in diesem Buch irgendwann das Gefühl, dass die Magie des ersten Bandes verloren gegangen ist. Irgendwo während des zweiten und dritten Teiles, ohne dass ich es bemerkt habe. Die Charaktere waren nicht mehr die, die ich ins Herz geschlossen habe, es war nicht länger die Geschichte eines Neo-Nazis und eines jungen, geflüchteten Mädchens, die sich über Vorurteile hinwegsetzen, nicht die Geschichte darüber, dass Menschen sich verändern können, nicht die Geschichte, die erstaunlich nah an der Realität dran war.
Denn objektiv betrachtet ist der dritte Band alles andere als schlecht. Überhaupt nicht. Aber es ist diese Magie, es ist das, was den Auftakt so umwerfend gemacht hat, dieser kleine Zauber, dieses Realistische, quasi die Seele, die mir verloren gegangen ist. Auch schon im zweiten Teil, wenn ich jetzt zurückblicke, auch wenn mir das da noch nicht so klar war.
Es ist also nichts wirklich greifbares, und daher vielleicht auch subjektiv, und vermutlich werden die meisten von euch das Buch toll finden. Aber es geht hier ja schließlich um meine subjektive Meinung.

Ich hatte zwischenzeitlich das Gefühl, dass diese Geschichte, die ich geliebt hatte, genommen und weitergeführt würde, weg von dem, was sie ausmacht, ohne zu wissen, was genau das ist. So, als müsste alles unbedingt weitergeführt werden, alle Seiten der Flucht grausam gezeigt werden.
Und versteht mich nicht falsch, wenn man die Charaktere weglässt, dann zeigt der Autor ein grausames, aber eben auch realistisches Bild von der Flucht, zeigt, wie hart diese wirklich ist, welche Schrecken sie bietet, was für Opfer sie fordert. Er zeigt, wie sehr die Grenzschließungen und überfüllte Lager die Situation noch verschlimmern, zeigt die Lebensgefahr, die Opferbereitschaft, zeigt, wie Menschen, die doch im Kern genauso sind wie wir alle, alles verlieren, wie sie, nur angetrieben von ihrer Suche nach Sicherheit und Freiheit, ihr ganzes Leben und ihren ganzen Besitz aufgeben.
Er zeigt, wie schwierig und gefährlich es wirklich ist, nach Deutschland zu gelangen, und ich verzweifelte mit den Charakteren, litt mit ihnen, ohne es wirklich zu tun, weil ich von der Realität eben keine Ahnung habe. Auch dieser Band ist wieder tiefgründig recherchiert und bietet Rechercheanstöße.

Und auch in diesem Band ist die Fremdenfeindlichkeit in Deutschland ein immer präsentes Thema, auch dadurch, dass auch Cindy einige Absätze erhält. Cindy, die ebenfalls allmählich zu zweifeln beginnt. Und obwohl man es vielleicht als idealistisch kritisieren könnte, mochte ich es, dass das Bild vermittelt wird, dass Menschen sich ändern können und nicht aus Prinzip "schlecht" sind.
Dennoch wird auch hier die Ungerechtigkeit gegenüber Geflüchteten thematisiert, die Stigmatisierung, die Vorurteile, die zunehmend geschürzt werden, die stetige Präsenz von Neo-Nazis mit ihrem ebenso stets präsentem Hass, ... Und dann natürlich die Frage nach dem Prozess. Und danach, ob es sowas wie Gerechtigkeit wirklich gibt.

Während mich das im zweiten nur unterschwellig gestört hat, spielte hier in das oben beschriebene Gefühl mit rein, dass ich zwischendurch doch dachte, dass es ein wenig absurd ist, was Calvin alles durchlaufen hat - und noch durchläuft. Ein Deutscher, der aus Syrien zurück nach Deutschland flieht?
Und dann auch noch Calvin? Denn dieser Calvin hat kaum noch was mit dem Calvin aus dem ersten Band gemein. Und nein, der war mir lange auch nicht sympathisch, aber irgendwann hatte ich einfach dieses Gefühl, dass diese Charaktere wenig mit den ursprünglichen Charakteren (auch nach ihrer Entwicklung im ersten Band) gemein hatten, dass die Geschichte wenig mit der ursprünglichen Geschichte gemein hatte, so als hätte sie sich irgendwann zwischendurch selbst verloren.
Und natürlich werden Fäden zusammengelegt, aber zwischendurch schlich sich die Frage in meinen Kopf, wann es denn endlich vorbei wäre, vielleicht nicht nur auf die genervte, sondern auch auf die mitfühlende Weise, vielleicht auch beides gleichzeitig.

Der Stil ist dabei wie der zweite poetisch und schleudert mit seinen Formulierungen dem/-r Leser*in teilweise Fakten eiskalt ins Gesicht, Fakten, die einem schon irgendwie das Herz brechen. Zwischendurch schämte ich mich fast dafür, in einem Erste-Welt-Land zu leben, quasi alles zu haben, während anderen Menschen auf der Welt solche Schicksale widerfahren.
Wie auch im Vorgänger balanciert auch hier der Stil zwischen Vorstellung und Wirklichkeit, zwischen Illusionen und tatsächlichen Geschnissen, zwischen unrealistischem Märchen und recherchierter Realität. Manchmal war es mir zwischendurch fast zu viel, fast zu viel für dieses doch sehr ernste Thema, während ich es im ersten Band noch geliebt habe. Vielleicht ist das aber auch eine Weise, sich diesem Thema zu nähern, auf fiktive Weisen die Realität zu vermitteln. Ich denke, das ist letztendlich Geschmackssache.

Fazit: Sehr gut recherchiertes, emotional mitreißendes Buch, das für mich persönlich aber ein wenig auch im zweiten Band schon die Seele des Auftaktes verloren hat, dadurch, dass ich das Gefühl hatte, dass die Charaktere wenig mit den Charakteren aus dem ersten Band und auch die Geschichte nur noch wenig mit der aus dem ersten Band gemein hatten. Ob es zu viel Poesie, zu unrealistisch, zu anders ist, oder ob dies einfach nur eine andere Herangehensweise an dieses ernste, sehr ausführlich in vielen Facetten dargestellte Thema ist, bleibt aber im Endeffekt jedem selbst überlassen.