Rezension

Psychodrama mit unerwartetem Ende

Still Missing - Kein Entkommen - Chevy Stevens

Still Missing - Kein Entkommen
von Chevy Stevens

Bewertet mit 4.5 Sternen

Annie ist eine Maklerin auf Vancouver Island. An einem Open-House-Tag mit nur wenigen Interessenten will sie gerade ihre Sachen packen, als doch noch jemand kommt. Er scheint sehr freundlich zu sein, doch plötzlich überrumpelt er Annie und entführt sie in eine Hütte in den Bergen, aus der es kein Entkommen zu geben scheint.

Das Buch ist komplett aus Annies Perspektive geschrieben. Nach ihrem Entkommen von ihrem Entführer begibt sie sich in psychologische Behandlung, um ihre Erfahrungen aufzuarbeiten, während parallel die Ermittlungen immer noch laufen. Die einzelnen Kapitel sind jeweils eine Sitzung bei einer Psychologin, die jedoch immer nur indirekt zu Sprache kommt.

In ihren Gesprächen mit der Ärztin schildert Annie nach und nach, wie sie entführt wurde, und was ihr in der Berghüte widerfahren ist. Gleichzeitig beschreibt sie auch ihren Weg zurück ins Leben und die Fortschritte der Ermittlung. So springt die Geschichte in den Zeiten, wodurch sich langsam sowohl für Annie als auch den Leser erklärt, was passiert ist. Ich fand diese Wechsel sehr gelungen, konnte gut nachvollziehen, dass Annie mal mehr Dinge der Gegenwart beschäftigten oder ihr die Kraft fehlte, in ihr Martyrium nochmals einzutauchen durch das Erzählen darüber, und sie deshalb lieber aktuelle "Belanglosigkeiten" bereden will. Die anderen Personen bleiben ein wenig flach, was aber daran liegt, dass wir ja nur aus Annies Beschreibungen einen sehr subjektiven Blick auf die Figuren um sie herum werfen und dadurch einige Facetten eines allwissenden Erzählers fehlen; sie spielen in Annies Leben (und damit diesem Roman) eben nur eine "Rolle" und sind keine handelnden Hauptfiguren. Das finde ich zu dieser Perspektive sehr passend.

Je tiefer man in Annies Geschichte eindringt, desto weniger lässt sie einen los. Es ist nicht unbedingt der Schreibstil, der einen fesselt, stattdessen stand für mich immer die Nachvollziehbarkeit der Gedankensprünge in der Erzählung im Vordergrund. Dadurch konnte ich mich gut in die Protagonistin hineinversetzen, die versucht sich mit kleinsten Schritten wieder ihr Leben aufzubauen.

In der Mitte gibt es einen kurzen Moment, der Längen aufweist, deshalb habe ich hier einen halben Stern abgezogen. Schon kurz danach nimmt die Geschichte aber eine völlig unerwartete Wende. Das Ende muss man erst einmal verdauen, aber auch wenn es sehr heftig ist, kam es mir nicht völlig unrealistisch vor.

Insgesamt 4,5 von 5 Sternen von mir für ein Psychodrama, das sich immer wieder unerwartet entwickelt, mit einem nachvollziehbaren und tiefschürfenden Erzählstrang, geschrieben aus der ungewöhnlichen Perspektive psychologischer Sitzungen.