Rezension

Psychologische Studie mit kriminalistischem Hintergrund und einer ungewöhnlichen Ermittlerin

Fiona: Den Toten verpflichtet - Harry Bingham

Fiona: Den Toten verpflichtet
von Harry Bingham

Bewertet mit 5 Sternen

Ursprünglich hatte ich an 4 Sterne gedacht. Nach dem Ende, das vieles im Nachhinein erhellt, sehe ich, wie genial die Geschichte geschrieben ist. Aber ich bin sicher, sie wird nicht jedem gefallen, weil es 'viel Psychokram' gibt, salopp ausgedrückt.

Der Leser nimmt die ganze Zeit an den Gedanken der Ich-Erzählerin Fiona Griffiths teil. Das ist streckenweise anstrengend, denn man merkt gleich zu Anfang, dass mit Fiona etwas nicht stimmt.

"Ich kann nicht besonders gut mit Gefühlen umgehen. Noch nicht." (17)

Dennoch hat die jetzt 26-jährige eine Stelle bei der Kriminalpolizei bekommen. Sie wird größtenteils mit Routineaufgaben beschäftigt, die ziemlich detailliert geschildert werden. Das mag einige langweilen; ich fand es sehr interessant, welche Möglichkeiten der Datensammlung und -auswertung die Kriminalpolizei heutzutage benutzt und wie sich daraus Spuren ergeben.

Fiona hat am Rande mit dem Mord an einer mutmaßlicherweise Prostituierten und ihrer 6-jährigen Tochter zu tun, aber weil ihr das grausam ermordete tote kleine Mädchen nicht aus dem Kopf geht, stellt sie eigene Ermittlungen an, obwohl ihr Chef ihr Alleingänge untersagt hat. Zwar bemüht sich Fiona sehr, so zu reagieren, wie es von ihr erwartet wird; sie ist also nicht mit Absicht aufsässig oder respektlos. Aber es gibt eine große Diskrepanz zwischen ihrem Denken, an dem der Leser ständig teilnimmt, und dem, was sie sagt, weil es so von ihr erwartet wird. Sie spricht von ihrem 'leidgeprüften Unterordnungsmuskel'.

Man sieht, Fiona ist die tragende Hauptperson des Buches. Alles dreht sich um sie und ihre Schwierigkeiten, sich 'normal' zu verhalten. Die Geschichte ist im Präsens erzählt, was ihr eine direkte Unvermitteltheit, manchmal eine Atemlosigkeit verleiht.

Einige seltsame Sätze lassen den Leser rätseln, nicht über den Kriminalfall, der meiner Meinung nach gar nicht im Mittelpunkt steht, sondern über Fionas merkwürdiges bis absurdes Verhalten, z.B. ihr fast zärtlich zu nennendes Verhältnis zu Toten. Erst im Nachhinein wird dem Leser klar, was es damit auf sich hat.

Manche Leser werden dieses Buch wegen vieler detaillierter Schilderungen der Ermittlungen und Fionas Gedanken vielleicht langweilig finden. Daran wird auch eine Art Showdown am Ende nichts ändern, der seltsam distanziert beschrieben wird, genau so, wie Fiona es empfindet. Und das ist eben die geniale Erzählweise des Autors, dem es nicht um einen Kriminalfall geht, sondern um die Person dieser außergewöhnlichen Frau mit ihrem außergewöhnlichen Hintergrund.

Die Kriminalgeschichte ist in sich abgeschlossen, aber über Fiona möchte man gerne mehr erfahren. Es gibt weitere vier Bände und ich werde auf jeden Fall den zweiten lesen.