Rezension

Rätsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart

Tochter der Dunkelheit
von Tanya Carpenter

Noch bevor Vampire jeglicher Couleur aus US-amerikanischen Federn in unzähligen populären Titeln die deutschen Bücherregale stürmten, erblickte mit RUF DES BLUTES eine vielversprechende Serie einer ambitionierten deutschsprachigen Autorin, Tanya Carpenter, das Licht der Welt. TOCHTER DER DUNKELHEIT ist der erste von insgesamt sechs Bänden, die in vorwiegend erster Person Singular in zweiundfünfzig Kapiteln inklusive Prologs den Lebensweg der Hauptprotagonistin Melissa Ravenwood begleiten. Die junge Frau lebte viele Jahre unter dem Namen Melissa Rowena Carter mit der vermeintlichen Gewissheit, ihr Vater sei bei einem tragischen Unglück ums Leben gekommen, ihre Mutter folgte ihm womöglich aus Kummer nur weniger Monate später und sie selbst fand im Alter von zwei Jahren ein liebevolles Zuhause bei ihrer Großmutter Margret Crest. Seit frühester Kindheit genoss sie eine Erziehung nach Tradition der Großen Muttergöttin. Im Glauben an das Gute, die positive Kraft des Lebens, im Einklang mit der Natur. Ein Haus an einem See gelegen, umgeben von Bylden Wood, einem kleinen Wäldchen, war ihr Heim. Als sie im Jahre 1997 nach bestandenem Examen in Historie und Archäologie von der Universität in Glasgow zurückkehrt, ahnt sie noch nicht, dass sich ihre Zukunftspläne als Forscherin in Ägypten kurze Zeit später notgedrungen in Wohlgefallen auflösen. Doch nicht etwa, weil Grandma Crest es lieber sähe, die übersinnlich begabte Melissa würde in ihre Fußstapfen treten und als praktizierende Hexe tätig werden. Margret Crest versucht, die verschiedenen Talente ihrer potenziellen Nachfolge in Erfahrung zu bringen. Sie übergibt ihr sämtliche Aufzeichnungen über Wissen, Rituale und Gesänge der Hexen in Form eines Buches – ihrem Buch der Schatten – dem vollständigen Werk einer Hohepriesterin. Tief in Bylden Wood offenbart sich Melissa in der Grenzwelt zwischen Sein und Nichtsein, wo Raum und Zeit bedeutungslos sind, ihr Krafttier. Osira, eine Wölfin, steht Melissa fortan zur Seite. Nichts ist so wie es scheint, spricht die große Urmutter zu ihr. Diese Warnung und diverse Träume verunsichern die junge Frau. Als Armand de Toulourbet während seiner nächtlichen Besuche erwähnt, dass die Großmutter eine gute Freundin von ihm getötet habe, beginnen sich erste Zweifel zu regen. Aus Neugier über das Vampirdasein sieht sich Melissa in der heimischen Bibliothek um und stößt auf ein handschriftliches Manuskript Dem Coven der Roten Priesterinnen aus dem Jahr 1977, verfasst von Margret Crest. Ahnung wird zu grausamer Gewissheit. Erinnerungen an ihre eigene Vergangenheit überwältigen die erschrockene Melissa. Sowohl ihre Mutter als auch ihre Tante Lilly fielen dem Hexenzirkel, allen voran Margret Crest, zum Opfer. Zwanzig Jahre Lug und Trug. Die Person, der Melissa ihr Vertrauen schenkte, entpuppt sich als Mörderin ihrer Mutter. Die sofortige Flucht durch den Wald ist nicht von Erfolg gekrönt. Die Macht der Hohepriesterin ist zu groß. So stünde nun auch Melissa der Tod durch den brennenden Scheiterhaufen beim nächsten Vollmond bevor, wäre da nicht Armand, der sie in letzter Minute rettet und nach Gorlem Manor, dem Londoner Mutterhaus der Ashera, einem PSI-Orden unter Leitung Franklin Smithers, bringt. Hier findet Melissa fortan eine neue Familie und hat sich schon nach kurzer Zeit eingelebt. Bereit, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, blickt sie voller Hoffnung in die Zukunft. Die Arbeit des Geheimbunds ist nicht immer angenehm. Die Suche nach der mystischen Lade von Cairn Dormet an der Küste Schottlands, ein Spukschloss in D´Argent, die Arbeit für Amun-Ra, das Mutterhaus in Kairo – verschiedene Außenmissionen bergen durchaus Risiken und werden zur Gefahr für Leib und Wohl der engagierten Frau. Mit Armand verbindet Melissa im Laufe der Zeit mehr als nur Freundschaft. Sie begleitet ihn auf verschiedene Ausflüge und der Jagd und wird Zeuge von Sinnlichkeit und Erotik. Zu guter letzt erliegt auch sie dem verführenden Rausch des Blutes. Sie folgt ihm in sein Haus, um auch bei Tage bei ihm zu sein. Melissas Vertrauen mag Grenzen haben, ihre Liebe zu ihm jedoch nicht. Nicht nur ihre eigene Herkunft nimmt Gestalt an, Melissa taucht auch tiefer in die Welt der Vampire ein. Sie kommt Geheimnissen ihres Geliebten näher und lernt imposante Vampire seiner jahrhundertelangen Vergangenheit kennen wie Lemain, seinen Vater der Dunkelheit, oder den Lord des Vampirclans, Lucien. Nicht jeder Vampir entpuppt sich als friedliebender Zeitgenosse. Melissas Leben hängt schließlich sogar am seidenen Faden. Nur ein mächtiger Vampir kann sie vor dem Tod bewahren. Doch damit scheint auch ihr Schicksal besiegelt. De facto ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch Melissa eine Tochter der Dunkelheit wird …

Tanya Carpenter, die selbst seit ihrem vierzehnten Lebensjahr bekennende Wicca ist, verknüpft die Magie der Hexenkunst mit dem Mythos der Vampire. Die Vampire in RUF DES BLUTES sind kein reiner Abklatsch gängiger Vorstellungen von Furcht einflößenden, hässlichen und blutgierigen Untoten, wenngleich sie tatsächlich Blut benötigen, um zu existieren. Wesen wie Armand, Lemain und Lucien sind äußerst attraktiv, haben kultivierte Umgangsformen und verwickeln ihr Gegenüber mit Charme und Leidenschaft in einen Strudel aus Begierde und Lust. Man darf jedoch nicht außer Acht lassen, dass Vampire nun mal keine Menschen sind. Verwesungsgeruch, Fehlen des Spiegelbildes, Verwandlung in eine Fledermaus, Abscheu vor Knoblauchgeruch, Kruzifixe und Weihwasser sowie den sagenumwobenen Pflock ins Herz kann der Leser getrost vergessen. Lediglich Sonnenlicht und Feuer können den dunklen Gestalten der Nacht etwas anhaben. Die Mitglieder des Vampirclans halten sich wohlweislich untereinander an bestimmte Gesetze. Eine Ausnahme bildet der bösartige Draco. Die Autorin scheut nicht davor zurück, eine Szene zu beschreiben, in der Melissa Opfer seines gewaltbereiten Handelns wird. Situationen purer Leidenschaft und Erotik weiß Tanya Carpenter ebenfalls überzeugend und ästhetisch umzusetzen. So erlebt der Leser insgesamt Lust und Schmerz mit der Hauptfigur des Romans. Aber auch Eifersucht ist ein Thema, mit dem sich auseinandergesetzt wird. Zumal Vampire weder monogam leben, noch einen Unterschied zwischen den Geschlechtern machen. So entstehen hier und da knisternde Dreiecksverhältnisse, die der Geschichte zusätzliche Würze geben. Mit flüssigem Schreibstil, gefälliger Sprache, abwechslungsreichen Charakteren und spannenden Handlungszweigen um allerhand ungeklärte Fragen sowie Melissas langwierige Entscheidungsfindung zwischen Sterblichkeit und Ewigkeit zieht TOCHTER DER DUNKELHEIT den Leser über die gesamte Bandbreite des Buches in seinen Bann.

Das Cover der Broschur spiegelt in dunkler Farbgebung hervorragend die mystische Welt des Romans wider. Der obligatorische Blutfleck in roter Farbe darf natürlich nicht fehlen. Nicht zuletzt das größere Format und die sehr gute Papier- und Druckqualität begründen den etwas höheren Preis.

Fazit:

Gelungener Serienauftakt um die Entwicklung der Hauptfigur Melissa Ravenwood von einer sterblichen, unbedarften jungen Frau zu einer TOCHTER DER DUNKELHEIT. Vielfältige Charaktere mit Ecken und Kanten in einer Geschichte voller Rätsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart sorgen für unterhaltsamen Lesespaß. Empfehlenswert für alle Freunde von deutscher Vampirliteratur und jene, die es werden wollen.