Rezension

Rätselhafter Tod eines Lehrers

Der Fall Kallmann - Håkan Nesser

Der Fall Kallmann
von Håkan Nesser

Bewertet mit 4.5 Sternen

Leon kommt als Schwedischlehrer neu an die Bergtuna-Schule in einer schwedischen Kleinstadt. Er hat kurz zuvor Frau und Tochter durch einen Unfall verloren. Ludmilla, die Beratungslehrerin der Schule, überredete Leon zu einem Neuanfang. Leons Vorgänger Eugen Kallmann war an der Schule eine Legende. Kallmann ist unter bisher ungeklärten Umständen ums Leben gekommen. Auch Kallmann kam, ähnlich wie Leon, erst in höherem Alter an die Bergtuna-Schule – und das, obwohl sonst niemand in die Kleinstadt zurückkehrt, der es einmal von hier fort geschafft hatte. Kallmann beschäftigte sich leidenschaftlich mit Literaturgeschichte und - aus persönlicher Betroffenheit - mit ungelösten Kriminalfällen. Auf einer Skala von etwas sonderbar bis zu einer Figur, die sich hier in der Kleinstadt nach einem Fehltritt eine neue Identität zulegt, konnte ich mir unter Kallmann die verschiedensten Persönlichkeiten ausmalen. Immerhin ist der Mann lange vor dem Zweiten Weltkrieg geboren und die Lücke in seiner Biografie könnte ihre Ursache in der Kriegszeit haben. Komplizierter wird es, als die Schülerin Andrea entdeckt, dass ihr Vater nicht ihr biologischer Vater ist. Andreas Geburt vor 15 Jahren fand zu einer Zeit statt, die auch in Kallmanns Biografie eine Rolle spielt. Schließlich kommt es an der Schule zu antisemitischen und ausländerfeindlichen Zwischenfällen. Zeit dafür, dass die bis dahin komplexe Handlung wieder in ruhigeres Fahrwasser gelangt.

Mehrere Icherzähler nähern sich einem Gesamtbildbild des rätselhaften Kallmann an - Ludmilla, die Beratungslehrerin, Leon, der den Verlust seiner Familie lange noch nicht überwunden hat, Ulrika, die von einem reisenden Pub-Musiker schwanger wurde, die Schülerin Andrea auf Identitätssuche im Team mit ihrer Freundin Emma und der Lehrer Igor. Jeder Icherzähler hat Informationen zu weiteren Personen beizutragen, so dass die ersten Kapitel einen Berg von Details anhäufen. Die subjektive Sicht eines Icherzählers lässt die Möglichkeit offen, dass etwas verschwiegen oder geschönt sein könnte. In einem Ort, an dem die Lehrer schon die Eltern ihrer heutigen Schüler unterrichteten, existieren jedoch unzählige Verknüpfungen, die den Fall Kallmann endgültig ausleuchten könnten.

Kallmanns sorgfältig datierte Tagebücher arbeitet das erwachsene Detektiv-Team durch, während der Schüler Charlie eine eigene Recherchemethode entwickelt hat. Zeitweilig fühlt man sich wie im Cluedo-Spiel, indem in jeder Runde Verdächtige und Beweismittel neu gemischt werden. „Der Fall Kallmann“ dreht sich um einen ungelösten Todesfall, ist jedoch kein Kriminalroman. Neben dem zentralen Thema Schule steht Trauer im Mittelpunkt des Romans, auch die Erschöpfung von Lehrern, die noch mehr als 10 Berufsjahre vor sich haben. Zentrale Person war für mich Ludmilla, die beim Wechsel vom Unterrichten zur Beratungslehrerin schon einmal die Weichen in ihrem Leben neu gestellt hatte. Sie zeigt sich einerseits so besonnen, wie ihre Aufgabe es erfordert, nimmt jedoch zu den Mängeln des schwedischen Schulsystems entschieden Stellung.

Ein Roman, bei dem der Weg das Ziel ist, in Nessers charakteristischem Rhythmus erzählt – und wie ein Kaleidoskop, dessen Bild sich bei der leisesten Bewegung verändert.