Rezension

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Mr Moonbloom - Edward Lewis Wallant

Mr Moonbloom
von Edward Lewis Wallant

Bewertet mit 5 Sternen

Norman, Anfang dreißig, landet nach mehreren abgebrochenen Studiengängen im Kellerbüro von Moonbloom Immobilien und damit als Handlanger seines Bruders, der mehrere, dem Verfall preisgegebene Mietshäuser besitzt. Als Verwalter dreht Mr Norman Moombloom seine wöchentlichen Runden durch New York der frühen sechziger Jahre, um die Mieten zu kassieren. Und so unterschiedlich die Menschen sind, denen er dabei begegnet, so gleichen sich auch ihre Forderungen und Wünsche: Die Reparatur des Wasserhahns, Lampen im düsteren Flur, ein neuer Anstrich in der Wohnung. Doch das Budget ist klein, das Verständnis von Irwin, dem Eigentümer, für die Bewohner ist nahezu winzig. Für ihn sind es nur Mieter, aber für Norman werden es nach und nach Menschen, die die ärmlichen Behausungen bewohnen. „Es hatte bisher in seinem Leben keine Gräuel gegeben – nur eine langsame Ausweitung der Empfindsamkeit. Er war aber darauf gefasst, in naher Zukunft die Schmerzschwelle zu erreichen.“ Und so wendet sich Normans Leben.

„Mr Moonbloom“ ist einer der Romane, die erst dem Tod von Edward Lewis Wallant, er verstarb mit 36 Jahren an einem Aneurysma, erschienen sind. Wallant, der erst mit 30 Jahren als Schriftsteller tätig war, versteht es, seine Leser mit auf eine Reise zu nehmen. Grübelnd im Büro, Treppen steigend in muffig riechenden Hausfluren, zögernd die Hand bereits zum Klopfen an der Wohnungstür erhoben, ungeduldig nach dem Quittungsblock nestelnd: Als Leser habe ich nicht nur eine feinsinnige Geschichte gelesen, sondern ich war mitten drin. Ich war peinlich berührt, von dem betrunkenen Hundertjährigen, der in seiner selbst gewählten Verwahrlosung lebte. Und als Sidone, der Schlagzeuger, wie immer die Tür nackt öffnete, war ich genau so verdutzt wie Norman. Im Vorwort von Dave Eggers heißt es: „Mit der Zeit wird Norman für seine Mieter so etwas wie eine Kreuzung zwischen ambulanten Psychiater und Beichtvater.“ Und so ist die Wendung des Romans nur folgerichtig und macht aus Norman, den ich dann und wann zu Beginn des Buches gern wachgerüttelt hätte, eine enthusiastischen Protagonisten, der plötzlich im Leben einen Sinn für sich entdeckt und über sich hinaus wächst.

Mit der unbedingten Leseempfehlung möchte ich allen noch eine kleine Stelle aus dem Buch mit auf den Weg geben. Sugarman, Mieter und seinem Namen als Snackverkäufer in der Eisenbahn alle Ehre machend, erklärt Norman: „Dieses Geld hat Charakter, also schauen Sie nicht auf die Münzen herab. Dieser halbe Dollar zum Beispiel. Er hat in Peoria den Zug gewechselt und noch einmal in Chicago. Er ist mit dem Milchlaster nach Süden gefahren, nach Cairo, und kam im Strumpfgürtel einer Hure wieder zurück nach Sandusky, Ohio. Die kurzfristige Wärme dieser intimen Börse büßte er wieder ein, als sie ihn in einer katholischen Kirche bei der Kollekte ins Körbchen warf. Ein freundlicher Verbrecher unter den Kirchgängern tauschte ihn gegen eine Zinkkugel ein und beförderte ihn über zwei Staatsgrenzen nach Utica im Staat New York, wo er bei einer Partie Jacks-or-Better, Draw Poker oder One-Eyed Jacks Wild wieder den Besitzer wechselte. Der Bohnenhändler, der ihn gewann, brachte ihn heim nach Albany, wo er ins Schmugeld der Gattin Eingang fand. Sie kaufte ihrem Liebhaber eine handbemalte Krawatte davon, und dort im Laden wurde er in Gesellschaft von Artgenossen als Münzrolle in der Dritten Nationalen Bergarbeiter-Bank deponiert. Tags drauf fand ihn ein Kassierer bei den achtzig Dollar und fünfundsiebzig Cent in seiner Lohntüte. Dieser Mann, der unter exzessiver Schweißproduktion der Handflächen leidet, nahm ihn mit, als er seinen Vater in New London, Connecticut, besuchte und eine Tankfüllung Esso-Premium-Benzin damit bezahlte. Der Tankstellenbesitzer hatte ihn auf einer Fahrt mit der New Haven-Eisenbahn dabei, und zwar in dem Zug nach New York, der um sieben-null-drei Östliche Standard-Zeit abfährt. Um exakt acht-achtundvierzig, selbe Zeitzone, kaufte er sich eine Tafel Hershey-Schokolade (nussfrei). Die genaue Zeit weiß ich deshalb, weil ein Luftschlauch platzte und wir in der Nähe von Cos Cob eine Weile auf der Strecke standen.« Er setzte sich auf sein Bett und blickte den geduldigen kleinen Mann mit dem Quittungsbuch an. »Und er ist noch immer nicht zur Ruhe gekommen. Jetzt begibt er sich zu Moonbloom, und welchen weiteren Verlauf er nimmt, werde ich nicht erfahren.“

Viel Spaß beim Lesen!