Rezension

Realitätsnahe, kluge Dystopie

Oryx und Crake - Margaret Atwood

Oryx und Crake
von Margaret Atwood

Bewertet mit 5 Sternen

Die Welt, in der Jimmy und Crake aufgewachsen sind, ist schon sehr befremdlich. Die Eliten leben in abgeschirmten Bereichen und werden von dem „einfachen Volk“ strickt getrennt, sie genießen höhere Bildung und gesonderte Privilegien. Doch die Welt, in der Jimmy jetzt lebt, ist noch um einiges härter. Aus den anfangs zukunftsträchtigen Forschungen einiger Wissenschaftler entwickelt sich Stück für Stück eine apokalyptische Vision.
Die Geschichte die Jimmy (alias Schneemensch) erzählt, ist die einer globalen Katastrophe und einer ganz persönlichen Liebesbeziehung. Ich fand diese Verbindung von Anfang an sowohl ungewöhnlich, als auch äußert gelungen. Da ist einmal der dystopische Teil des Buches. Ich habe bisher kaum eine so kluge, realistische und darum so beängstigende Dystopie gelesen wie „Oryx und Crake“. Alle Entwicklungen scheinen so nah im Bereich des Möglichen und spiegeln tatsächliche Entwicklungen unserer Welt, dass ich diesen Schilderungen fassungslos folgen musste. Besonders überzeugt hat mich, dass alle Entwicklungen, vom Organschwein über die politischen Konflikte wegen einer nur auf Gewinn ausgerichteten Argrarkultur, so ehrlich beschrieben schienen. Nichts ist einfach nur schlecht, weil es neu ist. Aber es passiert, dass auch kleine Eingriffe in die Natur oder gut gemeinte Forschungen in schlimme Folgen münden.
Der Teil über die Beziehungen von Oryx, Crake und Schneemensch ist dagegen deutlich leiser und privater. Crake und Schneemensch sind beide in die schöne aber geheimnisvolle Oryx verliebt, wirklich haben kann sie keiner. Und auch die Lebensgeschichten der drei Protagonisten sind schon, jede für sich, besonders erzählenswert. Alles verwebt sich in diesem Buch zu so einer dichten Handlung, dass ich völlig von der Geschichte gefangen war.
Wen „Oryx und Crake“  jetzt nicht schon allein wegen der Thematik und der grandiosen Szenerie in seinen Bann zieht, der sollte spätestens von der tollen Atmosphäre und dem grandiosen Schreibstil gefangen werden. Die Stimmung hat von der ersten Seite gestimmt und die Erzählweise aus Jimmys Sicht ist perfekt gewählt. Alle Beschreibungen sind so stimmungsvoll und detailliert, dass sich ein genaues Bild dieser Welt entwickelt. Dabei wird man nicht mit einer langen Vorgeschichte in die Szenerie eingeführt, sondern erfährt nur Stück für Stück, was dazu führte, dass sich Schneemensch nun ganz allein durchschlagen muss. Dieser Aufbau der Geschichte war für mich deutlich spannender als lange, konstruierte und im schlimmsten Fall unglaubwürdig beschriebene Vorgeschichten, die in anderen Dystopien auf Krampf für Stimmung sorgen sollen.
„Oryx und Crake“ ist mein zweites absolutes Highlight in diesem Jahr und hat mich restlos begeistert. Ich konnte das Buch in keiner freien Minute zur Seite legen, bis ich es ausgelesen hatte. Und auch die Tage danach hing ich noch völlig in der Welt von Oryx und Crake fest. Das Buch bietet so viel Unterhaltung, aber auch so viele ernste Themen, denen man sich selbst stellen muss, dass ich es nur unbedingt jedem empfehlen kann.