Rezension

Roadmovie durch die Musikgeschichte der E-Gitarre

Vintage
von Grégoire Hervier

Bewertet mit 4 Sternen

Eine absolute Überraschung ist dieses Buch für mich. Völlig unerwartet wurde ich entführt in eine Geschichte, die sich in einem wie aus der Zeit gefallenen Laden für gebrauchte Gitarren ganz unspektakulär entspinnt und zu einer aufregenden Reise durch die Welt der Musik entwickelt. Von Thriller bis unterhaltsames Musiklexikon ist alles dabei.

Thomas hilft eigentlich nur aus in diesem Pariser Gitarrenladen. Er ist Mitte zwanzig, träumt von einer Karriere als erfolgreicher Gitarrist in einer berühmten Band und hat ein Faible für das Herrichten und Reparieren von elektrischen Gitarren entwickelt. Große Träume treffen auf die Realität. Seine Band hat sich gerade aufgelöst und in seiner WG teilt niemand seinen Musikgeschmack. Mit dem Schreiben bescheidener Artikel in Musikmagazinen kommt er gerade so über die Runden. Dann wird per Telefon eine der seltenen E-Gitarren angekauft unter der Bedingung einer persönlichen Übergabe. Thomas steht also plötzlich mit einer kostbaren Gitarre in einem schottischen Schloss, das einst von Jimmy Page angekauft wurde (den ich erst einmal googeln musste), und wird in die umfangreiche Gitarrensammlung eines Lords eingeführt, die ihm schlicht den Atem raubt und seine Hände zum Zucken bringt. Diesem Lord Winsley wurde kürzlich eines seiner Sammlungsstücke entwendet. Diese verschwundene Gitarre ist eigentlich ein Phantom. Es gibt sie offiziell nicht. Kein Wunder also, dass die Versicherung sich sträubt die 10 Millionen Pfund an Versicherungswert auszuschütten. Thomas' Begeisterung und Kenntnisse über Gitarren imponieren den Lord scheinbar und er setzt den jungen Musiker darauf an, die Existenz der sagenumwobenen „Moderne“ der Firma Gibson zu beweisen gegen eine Beteiligung an der Versicherungssumme. Wie soll man solch ein Angebot ausschlagen, zumal der Lord auch alle Spesen übernehmen will. Thomas begibt sich auf die Suche und nimmt mich Leser mit auf eine Geschichte über die Anfänge des Rock'n Rolls, den Blues, Elvis Presley, die ersten elektrischen Gitarren, verrückte Sammler, durchgeknallte Musiker, unbekannte Künstlergenies und haufenweise schlechte Fälschungen der „Moderne“. Und ganz viel Musik. Grégoire Hervier findet Worte für Musik, die einen regelrecht in den Ohren klingen. Beim Lesen schien es mir ganz oft, als könnte ich die Songs wirklich hören, die gerade im Buch Thema sind. Ein geschriebener Soundtrack sozusagen, der mir auf spannende und unterhaltsame Weise Fakten über die Entwicklung der Musik und die Funktionsweise der E-Gitarre vermittelt.

Herviers Spiel mit Wahrheiten und Klischees hat viel zu meiner Unterhaltung beigetragen, und er scheute sich dabei nicht, auch die ernsten Themen der Geschichte anzusprechen. Die Rassentrennung, Martin Luther Kings Kampf für einen Gleichberechtigung der schwarzen Bevölkerung in den USA, die Aktivitäten des Klu Klux Klans – all diese Punkte sind eng mit der Musik verwoben und bilden einen dichten Teppich, auf den Herviers musikalischer Roman sich in seinem Klang voll entfalten kann.