Rezension

Roman über die Liebe zur Musik

Der Klang der Erde - Dieter Bührig

Der Klang der Erde
von Dieter Bührig

Bewertet mit 4 Sternen

Außergewöhnlicher Roman fernab des Mainstream!

Dieser außergewöhnliche, äußerlich schmale, inhaltlich aber alles andere als dünne Roman, stellt eine ungewöhnliche Leseerfahrung dar!

Er spielt am Vorabend des 1. Weltkrieges in gehobenen, gebildeten, intellektuell interessierten Lübecker Kreisen.
Der Leser macht die Bekanntschaft mit vielen ungewöhnlichen interessanten Charakteren, die zusammen ein interessantes Gesellschaftsbild zeichnen. Die Charaktere entwickeln nach und nach Tiefe und Profil, so dass das Buch erst allmählich einen milden Zauber, eine ehrliche Faszination und einen sanften Sog entwickelt. Ich hatte beim Lesen das Gefühl immer tiefer in verschiedene Dimensionen vorzudringen, die Dimensionen der Musik, die Dimensionen all der unterschiedlichen Schattierungen der Liebe zur Musik, aber auch der Gefahr durch sie in eine Obsession zu geraten.
Die durch den Erzählstil konsequent durchgezogene Innensicht der Musik ist eine außergewöhnliche und ungewöhnliche Erzählpersepektive, wie ich sie noch nie erlebt habe.
Langsam nur entstehen durch diese Erzählweise Sympatien mit den Charakteren und es bleibt eine gewisse Distanz, eine Art Übersicht des Lesers, die aber den Spannungsbogen eher unterstützt.
 
Der für mich stärkste und beeindruckenste Charakter in diesem von außergewöhnlichen Menschen nur so wimmelnden Roman war eindeutig Max Auerbach.
Seine Geschichte, über die der Leser mehr und mehr erfährt ist packend und teils erschütternd und so wird es immer verständlicher, dass Max nach seinen traumatischen Erlebnissen eine Persönlichkeitsstörung entwickelt, die erschreckend distanzarm, in einer totalen Innensicht,  geschildert wird und so einen Großteil der Faszination für dieses Buch ausmacht. Seine Gefühle, Beweggründe, der "Andere" (nein, ich werde nicht spoilern, nur so viel: eine wirklich spannende Sache, hervorragend umgesetzt!!!), sein Bedürfnis andere zu schützen und die oft fatalen Folgen dieses Bedürfnisses, seine Wahnvorstellungen, all das entfaltet sich in seiner ganzen Grausamkeit und Tragik!
 
Gustav Mahler, der zu dem Zeitpunkt, zu dem der Roman spielt, schon verstorben ist, kommt - der Logik geschuldet - selbst nicht vor und ist doch ein tragendes Thema im Buch, was immer wieder deutlich wird. Man erfährt einiges über sein Leben, seine spezielle Art zu komponieren, die Begeisterung, aber auch das Misstrauen, dass er durch seine Persönlichkeit und seine unkonventionelle Musik hervorrief. Man macht Bekanntschaft mit seiner Frau, mit Musikern, die sich an seinen Noten die Zähne ausbeißen und ihn verehren.
 
Insgesamt liegt hier ein sehr intuitiv und empatisch geschriebener Roman vor und nach einigen Kapiteln setzt auch das Kopfkino ein und es wird richtig packend!
Eins sei jedoch gesagt: Man sollte sich ersthaft für klassische Musik interessieren, denn die vielen Fachvokabeln, die sich durch den kompletten Roman ziehen und die Innensicht aus der Musik heraus, erfreut wohl nur wahre Musikfreunde!