Rezension

Roman, Zeitdokument, Mahnmal

Der Reisende - Ulrich Alexander Boschwitz

Der Reisende
von Ulrich Alexander Boschwitz

Bewertet mit 5 Sternen

Der angesehene und wohlhabende jüdische Geschäftsmann Otto Silbermann wird in Folge der Novemberprogrome von 1938 aus seiner Wohnung vertrieben. Auf sich alleine gestellt versucht er einen Überlebensweg zu finden. Nachdem die Flucht ins Ausland nicht gelingt, sucht er Zuflucht in der Bahn und reist von nun an quer durch Deutschland. Dort trifft er auf die unterschiedlichsten Mitmenschen und ist einer zunehmenden Gefahr ausgesetzt.

Die Geschichte von Otto Silbermann hat mich von der ersten Seite an in seinen Bann gezogen und zutiefst bewegt. Fassungslos habe ich (wieder einmal) gelesen wie auch zwischen Freunden, Nachbarn, Geschäftspartnern und sogar Verwandten nur noch eine Einteilung von Bedeutung war: Jude- Nicht Jude. Die Gleichgültigkeit, mit der die neue gesellschaftliche Ordnung nach den Novemberprogromen von den meisten hingenommen wurde, wird von Ulrich Alexander Boschwitz eindrücklich verdeutlicht. Der Autor hat auch die Verwandlung und Zerrissenheit von Silbermann hervorragend sprachlich umgesetzt. Ich fand es sehr spannend zu verfolgen wie er zwischen Aufgabe bzw. Selbstmordgedanken und einem starken Überlebenswillen geschwankt ist. Die zunehmende Gefahr, die ein ständiges Abwägen jeder Situation erforderlich machte, ist atmosphärisch gut zu spüren. Für mich ist es völlig unverständlich warum dieses Buch erst nach fast achtzig Jahren bei uns verlegt wurde. Dadurch das es bereits unmittelbar zur Zeit der Novemberprogrome geschrieben wurde und sich der Autor zu dem Zeitpunkt selber auf der Flucht befunden hat, ist es ein einzigartiges Zeitdokument. Es wird mir nachhaltig im Gedächtnis bleiben!