Rezension

rührend - emotional - dramaitsch - Eine Liebesgeschichte vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts

Ismaels Orangen
von Claire Hajaj

Bewertet mit 4 Sternen

[Judith:] „Ich bin noch nie einem Araber begegnet. […] Und offen gestanden dachte ich, dass ihr uns hassen müsst.“ – [Salim:] „Ich muss überhaupt nichts. Du bist ein Mensch, ich bin ein Mensch. Warum sollte ich dich hassen, ohne dich zu kennen?“
S. 174

„Du bist deine eigene Geschichte, Mamele [Kosename für ein kleines Mädchen]. Die nur dir allein gehört. Daran, was du für andere Menschen bist, kannst du nichts ändern.“
Rebecca, S. 45

 

Charaktere:
Salim Al-Ismael ist anfangs 7 Jahre alt und lebt mit seiner Familie auf einer Orangenplantage.
Hassan ist Salims älterer Bruder.  
Judith ist ein paar Jahre jünger als Salim und in England aufgewachsen. Ihre Eltern sind beide Juden
.u. a.

 

Meine Meinung:
Die Geschichte beginnt 1948 mit Salims Familie, die von ihrer Orangenplantage in Jaffa zu Verwandten nach Nazareth flüchtet. Zu dieser Zeit dringen Juden in Palästina ein und machen den Staat zu dem ihren – Israel ist geboren. Zur gleichen Zeit in England lebt Judith, die vor allem in der Jugend mit ihrer Herkunft, die sich von dem überwiegenden Teil ihrer Klassenkameraden unterscheidet, hadert. Später folgt Salim seinem großen Bruder Hassan nach England, wo er seine berufliche Laufbahn beginnt. In diesen Jahren lernen sich die beiden kennen und lieben. In der Geschichte geht es nicht nur darum, ob die beiden einen Weg finden ihre Liebe zu leben, obwohl sie durch ihre Herkunft auf anderen Seiten stehen, sondern auch darum, wie wir allgemein mit unserer Herkunft umgehen und was sie für uns bedeutet.

Da die Geschichte um Judit und Salim handelt und in dem Buch 40 Jahre ihres Lebens geschildert werden, wird diese abwechselnd aus ihrer oder seiner Perspektive mittels des personalen Erzählstils geschildert. Dadurch erfährt der Leser zunächst, wie die beiden aufwachsen und als sie sich später treffen, was sie fühlen.

Ich habe das Buch unter anderem deshalb gelesen, weil ich mehr Informationen über den Nahostkonflikt wissen und dafür keine trockene Lektüre nutzen wollte. Die Thematik wurde sehr gut in die Geschichte beider Familien eingebaut. Salim ist ein Palästinenser, der seine Heimat verlassen hat, aber immer noch am Grundbesitz und dem Leben dort hängt und Judith ist Jüdin, die zwar nicht in Israel lebt, aber wegen ihrer Religion und Verwandtschaft trotzdem mit dem neuen Staat in Verbindung steht. Der Leser erfährt, wie Palästina zu Israel wurde, wie sich die Palästinenser fühlen und wie die Juden in Israel agieren. Alles, was wir fast täglich in den Nachrichten sehen, fängt hier an. Die Autorin Claire Hajaj „hat als Tochter einer jüdischen Mutter und eines palästinensischen Vaters ihre bisheriges Leben zwischen zwei Kulturen verbracht und versucht, diese zu vereinbaren. In ihrer Kindheit lebte sie sowohl im Nahen Osten als auch in England“, steht als Autoreninformation auf der Innenseite des Schutzumschlages. Daher ist es ihr möglich, beide Seiten darzustellen und die Versuche von Salim und Judith, ihre Herkunft zu ignorieren oder trotz aller Widrigkeiten zu kombinieren, glaubhaft zu schildern. Auch durch die arabischen, jiddischen und hebräischen Bezeichnungen, die hinten im Glossar übersetzt werden, wird die Geschichte realer.

Anfangs habe ich einige Zeit gebraucht, um in die Geschichte einzutauchen. Dadurch, dass zwei Geschichten parallel erzählt wurden, die sich sehr unterscheiden, hatte ich meine Schwierigkeiten mir alle Begebenheiten zu merken oder auch, wie der Verwandtheitsgrad verschiedener Personen ist. Aber da das Buch eben auch einen sehr ernsten und komplexen Aspekt beinhaltet, ist es natürlich, dass es keine leichte Lektüre ist, die man ohne einige Schwierigkeiten lesen kann. Nach 100 Seiten war ich aber voll und ganz von der Geschichte gefangen und konnte alles nachvollziehen. Ich finde es gut, wie die Geschichte gesponnen wurde und auf welche Situationen Wert gelegt wurde. Das Ende wird etwas dramatischer, endet aber doch auf eine angenehme Weise.

Neben Claire Hajaj Umsetzung des Nahostkonflikts, kann sie auch mit ihrem wunderbaren Schreibstil punkten. Salim ist ein ganzer anderer Charakter als ich und hat sich auch nicht so verhalten. Deshalb konnte ich seine Gefühle und Handlungen oft nicht verstehen, aber immer nachvollziehen. Denn was in Salim und auch den anderen Charakteren vorgeht, beschreibt die Autorin wirklich gut!

 

Fazit:
Ismaels Orangen erzählt von Träumen und der Herkunft. Salim und Judith stehen auf unterschiedlichen Seiten, denn er ist Palästinenser und sie Jüdin. Wird sich ihre Liebe trotz all der Widrigkeiten behaupten können?

Für alle, die das Leben der Charaktere gerne über Jahrzehnte mit verfolgen und tragische Familiengeschichte lesen, aber auch für alle, die mehr über den Nahostkonflikt wissen möchten, ist Ismaels Orangen ein guter Tipp!