Rezension

Ruhig und meditativ - meiner Meinung nach der schwächste Murakami

Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki - Haruki Murakami

Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
von Haruki Murakami

Bewertet mit 3.5 Sternen

Held des neuen Romans von Murakami ist der 36-jährige Tsukuru Tazaki. Seine Jugendzeit verbrachte er in einer Clique von fünf Freunden. Sie durchlebten die Zeit der Pubertät zusammen, gaben sich dabei gegenseitig Halt. Es war, wie Tazaki rückblickend meint, die „perfekte Harmonie“. Als Tazaki nach Tokyo zum Studium zieht, kündigen ihm die anderen scheinbar grundlos die Freundschaft, er wird aus dem Kreis verstoßen. Ohne seine Freunde verliert Tazaki den Halt im Leben. Ein halbes Jahr lang verfällt er, jetzt einsam in Tokyo, einer tiefen Depression.

16 Jahre später drängt ihn seine neue Freundin Tazaki dazu, wieder Kontakt zu seinen ehemaligen Freunden aufzunehmen. Andernfalls würde sie die Beziehung zu Tazaki abbrechen, da die seelischen Verwundungen aus jener Zeit ihre Beziehung belasteten. Also macht sich Tazaki auf, um sich seiner Vergangenheit zu stellen und um den Grund zu finden, warum er aus seiner Clique verstoßen wurde.

In „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ findet man wieder alle typischen Zutaten einer Murakami-Erzählung: Liebe und Tod, sexuelles Begehren, Einsamkeit, die Kraft der Träume und natürlich klassische Musik und Jazz.

Wie wichtig und programmatisch bei Murakami die häufig in seinen Büchern zitierte Musik ist, wurde mir gerade durch dieses Buch bewusst.

Im großen Vorgängerwerk „1Q84“ taucht als Grundthema immer wieder ein großes Orchesterwerk auf, die Sinfionetta von Janacek. Das im deutschen 1600 Seiten fassende Buch ist wie Janaceks Musik teils hochdramatisch, teils lyrisch und verbindet verschiedenste Motive.

„Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ zitiert schon im Titel Liszts „Pilgerjahre“, eine Stücksammlung für Klavier. Für den Helden des Romans ist ein Stück aus dieser Sammlung besonders wichtig, und zwar das romantische, in sich gekehrte und technisch scheinbar einfache „Le mal du pays“. Dem Charakter des Stückes gemäß ist auch das Buch einfach und melancholisch.

Im Roman unterhält sich Tazaki mit seinem Freund über „Le mal du pays“. Was die beiden über das Stück zu sagen haben, passt sehr gut zum gesamten Roman:

„Ein einprägsames ruhiges Thema, das eingangs monoton gespielt wird. Dann eine leichte Variation. Wenn man die Melodie einfach so nach Noten runterspielt, hört sie sich langweilig und nach nichts an. Spielt man sie mit zu viel Hingabe, klingt sie billig. Ein falscher Tritt aufs Pedal kann den Charakter des Stückes völlig verändern.“

Das Buch ist sehr ruhig erzählt. Mich hat das Buch an verregnete Tage erinnert, an denen man stundenlang am Fenster stehen und in den Regen schauen kann (mir geht es jedenfalls manchmal so). Man hängt seinen eigenen Gedanken und Erinnerungen nach.

Ich bin mir aber nicht sicher, ob mir das Buch gefallen hat. Mir waren die Dialoge manchmal zu altbacken. Es wird viel herum-philosophiert, aber eher auf dem Niveau von Kalenderweisheiten. Gerade der Anfang schien mir konstruiert und synthetisch. Aber vielleicht war diese künstliche Atmosphäre auch Absicht? Zum „farblosen“ Herrn Tazaki passt das ganz gut.

Trotzdem hat mich das Buch schließlich doch noch gefangen genommen, auch wenn es 100 Seiten gedauert hat.

Der Grund, warum Tazaki verstoßen wurde, ist verstörend. Ich möchte den Grund hier nicht nennen. Aber beim Lesen kommen Zweifel, ob Tazaki wirklich unschuldig ist. Können sich seine Träume vielleicht unheilvoll auf die Realität auswirken?

Es gibt schöne Szenen in diesem Buch: Ein Jazzpianist, der auf einem verstimmten Klavier Thelonious Monk spielt. Eine Reise nach Helsinki und durch finnische Wälder. Eine wunderbare Beschreibung vom Bahnhof Shinjuku, dem Bahnhof mit den meisten Fahrgästen der Welt. Gerade diese Bahnhofsszene wird mir in Erinnerung bleiben.

Mit Sicherheit ist das Buch aber kein, wie im Klappentext vollmundig beschrieben wird, „monumentales“ Werk. Das passt einfach nicht zur Schlichtheit dieses Buches, auch wenn es die großen Themen des Lebens aufgreift: Liebe, Freundschaft, der Umgang mit Verlust und Tod.

Murakami verzichtet fast ganz auf phantastische Elemente, von einigen Traumsequenzen mal abgesehen (was ich persönlich traurig finde, weil ich gerade die surrealen Szenen bei Murakami liebe).

Vieles in dem Buch ist ein Aufguss alter Ideen und Motive, vieles wirkte auf mich unecht und arg konstruiert.

Ein ruhiges, meditatives Buch – in meinen Augen aber ein schwacher Murakami.