Rezension

Russisches Märchen von der Kälte

Die Frau, die nie fror - Elisabeth Elo

Die Frau, die nie fror
von Elisabeth Elo

Bewertet mit 3.5 Sternen

Das Märchen von der bionischen Frau. In den späten 70er Jahren gab es da mal eine US-Fernsehserie: Die 7-Millionen Dollar Frau. Pirio Kasparov ist allerdings nicht aus dem Flugzeug gefallen und wurde dann für 7 Millionen Dollar zu einer unbesiegbaren menschlichen Waffe umgerüstet. Sie hat ohne bionische Zusatzausrüstung einen Zusammenstoß mit einem riesigen Frachter vor der Küste Bostons überlebt, obwohl sie vier Stunden im 6 Grad kalten Wasser aushalten musste. Eigentlich überlebt das niemand, das wissen wir spätestens seit Leonardo di Caprios sachtem Versinken im Blockbuster Titanic. Bereits nach wenigen Minuten kühlt der Körper auf gut 30 Grad herunter und setzt nach und nach seine wichtigen Körperfunktionen aus. Pirios russische Gene müssen diese Fakten wohl anders sehen, Tod durch Unterkühlung haben sie für Pirio nicht vorgesehen. Sie wird von der Küstenwache eingesammelt und trauert nun um den Verlust eines guten Freundes. Ned Rizzo war Kapitän auf der Molly Jones, sein nigelnagelneues Fischerboot. Als der Frachter aus dem nebligen Nichts auftaucht, bleibt er an Bord und setzt den rettenden Funkspruch ab. Pirio springt, entfernt sich schwimmend von der sinkenden Molly Jones, überlebt und wird nun von allen als Wunder betrachtet.
Neds Sohn Noah ist Pirios Patenkind und schon allein ihm zuliebe will sie herausfinden, was da auf See passiert ist und warum der Frachter nach der Kollision einfach weiter fuhr. Die Behörden sprechen von Seefahrerflucht und zucken mit den Achseln. Auch Neds alte Fischerkumpel nehmen das Unglück merkwürdig gelassen hin. Irgendetwas ist faul an dieser Geschichte. Zusammen mit einem Journalisten gerät Pirio an gefährliche Typen und deckt schließlich eine abscheuliche Story auf, die auch dem hart gesottensten Leser nicht kalt lassen wird.
„Die Frau, die nie fror“ ist eine merkwürdige Mischung aus Detektivgeschichte, Thriller, Familiensaga und Naturphänomenen. Getragen wird die Handlung durch den starken Hauptcharakter, der aus der Ich-Perspektive erzählt. Pirio ist sehr unangepasst, hat eine wilde Jugend hinter sich, liebt und leidet mit ihrer exzentrischen Jugendfreundin Thomasina und deren Sohn Noah. Sie ist eine coole Patentante und versucht immer für Noah da zu sein, vor allem wenn seine Mutter sich mal wieder die Kante gegeben hat. Dabei trägt auch Pirio selbst einige seelische Wunden mit sich herum. Lebt mit ihrem Vater eine konfliktreiche, streitlustige Beziehung im gemeinsamen Parfüm-Familienunternehmen. Den frühen Verlust der Mutter hat sie nicht verwunden, jagt dem speziellen Duft der Mutter hinterher. Langfristige Beziehungen zu Männern meidet sie, der Gedanke an die Verantwortung für eigene Kinder schnürt ihr die Kehle zu. Nach außen wirkt Pirio stark, rau und rotzig. Ihre von der Navy diagnostizierten bionischen Fähigkeiten erstaunen sie, doch sie nimmt die Entdeckung gelassen. Doch ist sie sehr wohl empfindsam, hat neben der feinen Nase auch ein gutes Gespür für Menschen und Ungerechtigkeiten.
Elisabeth Elo erzählt in ihrer eigenen Geschwindigkeit. „Die Frau, die nie fror“ kommt ohne das halsbrecherische Tempo eines typischen Thrillers aus. Sie setzt auf Tiefe in der Figurengestaltung und auf eine gut durchdachte Handlung. An manchen Stellen könnte allerdings ein wenig mehr Tempo nicht schaden, ein bisschen zäh beginnt sich die Geschichte zu entwickeln. Selbst die wundersame Rettung Pirios als Auftakt zur Handlung kommt recht unspektakulär daher. Dafür verschlägt einem das Ende unangenehm den Atem. Zu viel soll daher an dieser Stelle nicht verraten sein: Wir Menschen sind die schlimmsten Jäger auf diesem Kontinent, denn wir jagen und töten aus purer Lust oder schlimmer noch, aus Langeweile.