Rezension

Sachbuch und Erzählung geschickt kombiniert.

Lautlose Stufen - Inge Becher

Lautlose Stufen
von Inge Becher

Bewertet mit 5 Sternen

Hella Arnold ist 10 Jahre alt, geht zur Schule, wächst in eher ärmlichen Verhältnissen auf. Sie selbst fühlt sich jedoch rundum wohl, bis sie erkrankt.

Niemand weiß genau, um welche Krankheit es sich handelt, aber sie muss oft ins Krankenhaus, versäumt Unterricht und kann - vor allen Dingen - kein Jungmädel werden. Das allein macht sie schon zur Außenseiterin, hinzu kommt noch, dass sie und ihre Eltern katholisch sind.

Den Leserinnen und Lesern erschließt sich schnell, dass Hella im Nationalsozialismus aufwächst. Wir begleiten sie, bis zu ihrem 14. Lebensjahr. Bemerkungen der Erwachsenen, die Hella mit anhört, sprechen eine deutliche Sprache. Gleichzeitig steht jedem Kapitel eine kurze, sehr gut verständliche Einführung in bestimmte geschichtliche Aspekte dieser Zeit voran. Einmal geht es um die Lehrer, denen die Mitgliedschaft in der NSDAP vorgeschrieben war, ein anderes Mal um Radios und Fernseher bzw. den Volksempfänger usw. Die erzählte Geschichte um Hellas Leben ist so eingebettet und erhält einen Rahmen, der es auch jüngeren Menschen erlaubt, die Geschehnisse einzuordnen.

Sicher wird vielen der Atem stocken, wenn sie die Rechenaufgabe lesen, in der die Schüler ausrechnen soll, wie viele Lehrer man einstellen könnte, wenn es keine “Krüppel” gäbe, die der Staat durchfüttern muss (S. 15). Doch dadurch wird schon an dieser Stelle das eigentliche Thema des Romans klar: es geht um lebensunwertes Leben.

Auch Hella, deren Krankheit sie daran hindert zur Schule zu gehen, wird als lebensunwert eingestuft, obwohl sie nähen lernt und beim Ausbessern von Kleidungsstücken hilft.

Der Titel des Romans bezieht sich auf die Stufen, die Hella in ihrem Haus nur benutzen darf, wenn sie sich nach unten schleichen will, ohne von den Eltern gehört zu werden. Sie ihrerseits hört dadurch einiges, was nicht für ihre Ohren bestimmt war.

Hella ist ein tapferes, auch mutiges Mädchen, das nicht unbedingt alles versteht, was um es herum geschieht, aber immer versucht, alles richtig zu machen.

Mehrmals wird die Geschichte richtig spannend. Der Autorin gelingt es, mit vielen Dialogen und eindringlichen Bildern vom Leben im Nationalsozialismus zu erzählen.

Inge Becher leitet ein Museum in Georgsmarienhütte. Den Anstoß zu diesem Buch gab das Projekt “70 Jahre danach - Generationen im Gespräch”, das die Autorin 2015 gemeinsam mit der Stadt Georgsmarienhütte und dem Anne Frank Zentrum durchführte.

Eine Leseempfehlung, gerade auch für Leseungeübtere.