Rezension

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Salingers Glass-Familie

Franny und Zooey - Jerome D. Salinger

Franny und Zooey
von Jerome D. Salinger

Das Buch vereinigt zwei Geschichten: "Franny" ist eine zwanzigjährige Studentin, die am Wochenende zu ihrem Freund Lane fährt und mit ihm ein Footballspiel besuchen will. Der Besuch beginnt völlig normal: Der junge Mann holt sie am Bahnhof ab, sie bringen ihr Gepäck in eine Pension, dann gehen sie essen. Lane erzählt von seinem Aufsatz über Flaubert, auf den er sehr stolz ist. Doch Franny kann das nicht teilen: Sie befindet sich gerade in einer tiefen Sinnkrise. Sie erlebt ihre Umgebung als angeberisch und heuchlerisch, und Lane verhält sich genauso egozentrisch. Der ganze Universitätsbetrieb stößt sie ab, denn hier geht es nicht um Weisheit, sondern nur darum, Anerkennung zu finden. Franny sucht einen Ausweg und hat Rat in einem kleinen russischen Buch gefunden: Ein einfacher Pilger findet zur Erkenntnis und zu Gottesnähe, indem er ununterbrochen betet. Lane findet diesen Weg zutiefst suspekt und macht ihn herunter. Franny erleidet einen Zusammenbruch.

Die Novelle "Zooey" spielt wenige Tage später. Franny ist zu Hause bei ihrer Familie in New York und liegt seit mehreren Tagen apathisch im Bett. Ihre Mutter macht sich große Sorgen, und auch ihrem Bruder Zooey geht das nicht anders. In der ersten Szene sitzt er in der Badewanne und liest einen vier Jahre alten Brief seines Bruders Buddy, der ihm dazu rät, nicht wie von der Mutter gewünscht einen akademischen Abschluss zu machen, sondern seine Schauspielerei weiterzuführen, doch mit vollem Herzblut. In der zweiten Szene kommt die Mutter hinzu und spricht mit Zooey über Franny und ihre Sorgen. Zooey weicht ihr zwar aus und macht sich lustig, doch wird deutlich, dass auch er an seiner kleinen Schwester hängt. In der nächsten Szene versucht er ein Gespräch mit Franny. Er fühlt sich in ihre Probleme ein und versucht, ihre Argumentation zu widerlegen. Doch auf dieser Ebene hat er keinen Erfolg; das Gespräch missglückt. Zooey geht in das Zimmer, das sich früher der älteste Bruder Seymour mit Buddy geteilt hat; er findet viele Erinnerungen vor. Seymour, der von allen seinen jüngeren Geschwistern geliebt und verehrt wurde, hat schon vor einigen Jahren Selbstmord begangen (siehe die Erzählung "A Perfect Day for Banana Fish"); Buddy lehrt in einem College und wohnt abgelegen. Er hat sich sehr zurückgezogen und ist nicht einmal telefonisch erreichbar; in seinem Zimmer in New York steht allerdings immer noch sein altes Telefon, dessen Anschluss er nie gelöscht hat. In einer Eingebung nutzt Zooey dieses Telefon; er ruft seine Schwester in der gleichen Wohnung an und gibt sich als Buddy aus. Zwar durchschaut Franny dieses Spiel schnell, doch lässt sie sich auf ein neues Gespräch ein. Zooey findet eine Verbindung zu ihr; er spricht indirekt mit ihr über den Sinn der Religion und über deren Haltung zu anderen Menschen. Er endet mit einer Erinnerung an Seymour: Dieser hat seinen jüngeren Geschwistern den Rat gegeben, sich für die "dicke Frau" die Schuhe zu putzen, wenn sie im Radio auftreten - auch wenn die unbekannte Hörerin das nicht sehen kann. Mit dieser persönlichen Erinnerung und dem Auftrag beruhigt sich Franny; sie findet in einen erholsamen Schlaf.

Zwei Geschichten, in denen fast nichts passiert. Besonders in der zweiten Novelle gibt es keine Handlung; alles besteht nur aus Gesprächen. Das mag manche Leser langweilen; einige finden es interessiert. Auch mir geht es so - ich finde Salingers Geschichten um die Glass-Familie faszinierend. Was für Charaktere! Manchmal stelle ich mir vor, ich hätte sie gekannt, doch vermutlich wäre ich für sie uninteressant gewesen, da ich nicht in der gleichen Liga spiele. Ich bin (leider) auch in vielen Bereichen oberflächlich und sehne mich nach Anerkennung, und hochbegabt wie die sieben Kinder bin ich auch nicht. Ich wäre gern in ihrer Umgebung und hätte von Zeit zu Zeit einen kleinen Einblick, der mir einen Impuls gibt. Leider sind sie ja nun fiktiv und das ist nicht möglich. So bleibt mir nur, in Abständen das Werk Salingers hervorzuholen und darauf zu hoffen, dass vielleicht irgendwann doch noch etwas aus seinem Nachlass veröffentlicht wird.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 04. Februar 2015 um 09:46

Das ist eine interessante Rezension:

Hochbegabung und Depression gehen ja oft Hand in Hand, "Normalos" können deshalb ganz zufrieden sein! Der Suizid wird wohl die Erklärung für die depressiven Verstimmungen sein, nie aufgearbeitet .... der Unibetrieb ist sicherlich ganz richtig dargestellt, davon kann man ein Liedchen singen ...:-))