Rezension

Satirisch? Skurril? Literarisch? Gesellschaftskritisch? Komisch? Ein Krimi? Ein bisschen von alledem und nichts davon

Nussschale - Ian McEwan

Nussschale
von Ian McEwan

Bewertet mit 4 Sternen

Selten habe ich ein Buch gelesen, das in mir solch' widersprüchliche Reaktionen hervorgerufen hat. Mal gefällt es mir gut, mal nicht. Ich fühle mich hin- und hergerissen ...

Wie realistisch ist das? Kann das so sein? Diese Gedanken sollte man 'an der Garderobe abgeben' bevor man das Buch beginnt. Einen Realitätsmaßstab darf man nicht anlegen, sondern man muss sich unbefangen auf diese ganz und gar ungewöhnliche Perspektive einlassen. Auch ist es anzuraten, nur in hellwachem Zustand und nicht zu viele Seiten auf einmal zu lesen, denn mit seinen vielen philosophischen und gesellschaftskritischen Gedanken, mit den literarischen Anspielungen ist das Büchlein schwierig zu lesen.

Der Ich-Erzähler ist das Kind im Mutterleib, der künftige Sohn von Trudy, die ihren Ehemann anscheinend aus dem Haus geekelt hat und mit dessen Bruder eine Liebesbeziehung unterhält. Schon im ersten Kapitel deuten sich böse Pläne an, die immer eindeutiger werden, je mehr Puzzlesteinchen das ungeborene Kind zusammenfügt und sich aus dem Gehörten zusammen reimt.

Der Leser muss sich darauf einlassen, dass das Kind im Mutterleib vieles weiß und erfährt und dass es klüger ist als so mancher Leser selbst ;-) Über seine Mutter hört er Radio und Podcasts und zimmert sich sein Bild von der ihn umgebenden und der ganzen Welt zurecht und macht sich seine philosophischen und gesellschaftspolitischen Gedanken.

Ein wenig Spannung kommt auf, als sich die bösen Pläne vonn Trudy und Claude der Realisierung nähern. Der Ungeborene weiß davon, kann aber nichts machen. Am Ende vielleicht doch?

Außer den vielen gesellschaftspolitischen und kritischen Gedanken wimmelt es im Buch von außergewöhnlichen Sprachbildern, Vergleichen und Mataphern: Claudes Sätze verkümmern wie „mutterlose Küken“ oder Da liegt im Kühlschrank ein Käse, „so alt wie das Böse“. (s. auch Lieblingsstellen)

Kurz und gut: dieses Buch erscheint mir als interessantes literarisches Experiment, das die Gemeinschaft der Leser polarisieren wird.