Rezension

Schicksale im hohen Norden

Insel der blauen Gletscher - Christine Kabus

Insel der blauen Gletscher
von Christine Kabus

Bewertet mit 5 Sternen

2013: Hannas Mann ist von einem Tag auf den anderen mit einer anderen abgehauen, während sie sich noch in Sicherheit wähnte und dachte, dass alles in Ordnung wäre.
Die Kinder sind aus dem Haus, der Mann weg, Zeit, sich wieder eine Arbeit zu suchen. Sie war früher leidenschaftliche Reisereporterin und versucht, wieder in diesem Beruf Fuß zu fassen, was ihr auch gelingt.
Auch wenn der erste Auftrag darauf fußt, dass niemand anderes ihn übernehmen wollte, denn es sollte nach Norwegen gehen und anschließend nach Spitzbergen. Nicht gerade eins der Ziele, die Hanna sich ausgesucht hätte und doch übernimmt sie den Job.
1907: Emilie ist eine gebildete junge Frau und hofft, dass sie sich eines Tages ihren Mann selbst aussuchen kann. Das unterbindet jedoch ihr Vater, indem er ihr den passenden Mann schon ausgesucht hat.
Ihr jüngerer Bruder Max hat die Gelegenheit, im Auftrag seines Professors Studien in Norwegen zu betreiben, nur leider ist er nicht der Mensch dazu. Schon allein die Überfahrt mit dem dem Schiff wird ihm sicher zu schaffen machen, so dass er panische Angst vor diesem Auftrag hat. 
Emilie, die der Begegnung mit dem zukünftigen Auserwählten entgehen will, tauscht nach langem Zureden seitens Max den Platz mit ihm. Er bleibt bei ihrer Tante, bei der sich Emilie zur Zeit aufhält und sie unternimmt die Arktisexpedition für ihn, nicht wissend, dass sie sich in Gefahr begibt und ihr akribisch ausgedachter Plan über die Unkenntnis ihres Vaters schnöde versagt...

Das ist bereits das zweite Buch, das ich von der Autorin Christine Kabus lese. Wie schon in dem ersten Buch arbeitet sie auch hier wieder in verschiedenen Zeitebenen.
Lange laufen die beiden Stränge 2013 und 1907 parallel und es ist nicht erkennbar, wo die beiden sich annähern könnten. Erst zum Ende des Buches lassen sich die Übergänge und Zusammenhänge erkennen.

Die Autorin erzählt zwei völlig unabhängige Geschichten. 
Im Jahr 2013 sieht Hanna, Hausfrau und Mutter, sich genötigt, wieder von vorn anzufangen. Hanna nimmt einen Auftrag an, der sie in ein Land führt, von dem sie nicht viel weiß, außer dass es die meiste Zeit des Jahres dort kalt und dunkel ist. Abgesehen von der Zeit, in der es so gar nicht dunkel wird, wo die Nacht zum Tag gemacht wird.
Aber dort einmal angekommen, besinnt sie sich bald eines besseren. Kåre Nybol, den sie anfangs für einen Hausmeister hielt, der aber Polarforscher ist, zeigt ihr, wie schön sein Land ist. Gemeinsam mit ihm kommen sie auch Dingen auf die Spur, die seit 100 Jahren im Dunklen liegen.

Mehr als hundert Jahre zuvor macht sich Emilie für ihren Bruder Max auf den Weg auf eine Arktisexpedition. Sie wird dort für ihn die Arbeiten erledigen, die ihm auferlegt wurde. Unter anderem wird sie dort Pflanzen sammeln, so sie denn in dem unwirtlichen Land welche finden würde.
Es gelingt ihr mühelos, so gut wie jeden zu täuschen, dass sie ein Mann ist, denn als solcher nimmt sie bei der Expedition teil. Keine Arbeit ist ihr zu schwer, im Gegenteil, schafft sie doch teilweise mehr als die Männer.
Selbst ihr angeblich Zukünftiger ist mit auf der Expedition, dem sie sich jedoch ebenfalls nicht zu erkennen gibt. Mit den meisten Männern kommt sie klar, nur der wortkarge Arne hat es ihr angetan, für ihn empfindet sie mehr als erlaubt. Aber er ist auch der Erste, der das gemeinsame Schiff verlässt. Das eigentliche Abenteuer beginnt nun auch für sie, das ihr fast das Leben kostet.

Die beiden Protagonistinnen Hanna und Emilie trennen mehr als 100 Jahre. Beides sind starke Persönlichkeiten, die nicht den einfachen Weg gehen. Eine einmal gefällte Entscheidung wird bis zum Schluss durchgezogen.

Selbst wer noch nicht in Norwegen gewesen ist, fühlt sich nach der Lektüre dort nicht fremd. Christine Kabus gelingt es mit Leichtigkeit, den Leser an die Hand zu nehmen und ihm das Land, die Menschen und die Kultur dort näher zu bringen. Die Beschreibungen sind unglaublich genau, so dass man sich förmlich an Ort und Stelle versetzt fühlt. Man fühlt mit, spürt die Kälte und leidet mit an der nicht untergehenden Sonne.

Die beiden Handlungen wechseln sich im Buch immer ab. Es gab Stellen, da hätte ich am liebsten ein Kapitel übersprungen, nur weil ich wissen wollte, wie es weitergeht. Aber auf die Art und Weise wird man durch das Buch gepeitscht, weil man es immer nicht aus der Hand legen mag.

Die einzelnen Charaktere sind sehr gut ausgearbeitet. Mit vielen von ihnen fühlt man sich verbunden, mag sie auf Anhieb. Natürlich gibt es auch die anderen, aber auch die sind authentisch widergegeben. 
Es macht einfach Spaß, sich auf das Buch einzulassen, eine fremde Welt kennenzulernen und gemeinsam mit Hanna ein Geheimnis zu lüften, das seit 100 Jahren darauf wartet, entschlüsselt zu werden. 
Trotz der mehr als 600 Seiten kommt keine Langeweile auf, findet man keine Längen im Buch. Einmal angefangen, gibt es kein Entkommen.

Ein Buch, das ich sehr gern weiterempfehle.