Rezension

Schleichendes Vergessen des eigenen Lebens

Elizabeth wird vermisst - Emma Healey

Elizabeth wird vermisst
von Emma Healey

Bewertet mit 5 Sternen

Die 82jährige Maud Horsham leidet an Alzheimer. Wir begleiten sie ein Stück durch ihren Alltag und erleben, wie sich ihr Leben und sie selbst angesichts des Fortschreitens der Krankheit verändern. Da sind die zeitliche und örtliche Desorientiertheit, die Verwechslung und sogar das Nichterkennen nahestehender Personen, Wortfindungsstörungen bzgl. alltäglicher Dinge, Aggressivität gegenüber Angehörigen, die Unfähigkeit zur Verrichtung alltäglicher Dinge. Vor allem aber zwei Krankheitssymptome spielen in der Geschichte eine herausragende Bedeutung. Zum einen erinnert sich Maud detailliert an Begebenheiten aus ihrer Vergangenheit, insbesondere ihre Jugend zu Ende des Zweiten Weltkrieges  und das in diese Zeit fallende plötzliche und niemals aufgeklärte Verschwinden ihrer großen Schwester, das sie selbst seinerzeit aufzuklären versuchte. Zum anderen ist Maud von einer inneren Unruhe ergriffen, die sich darin äußert, dass sie ihre beste Freundin Elizabeth für vermeintlich verschwunden hält, weil sie sie eine ganze Weile nicht mehr gesehen haben will. Maud teilt jedem und immer wieder mit, dass Elizabeth vermisst wird. Aber niemand scheint ihr zu glauben. Deshalb verwendet Maud ihr ganzes Denken und Tun darauf, Elizabeth zu finden, was in nahezu detektivischer Ermittlungsarbeit geschieht.

 

Erzähltechnisch wird diese letzten beiden Aspekte betreffend so vorgegangen, dass Maud jeweils einen Umstand aus der Gegenwart zum Anlass nimmt, sich gedanklich an früher zu besinnen. Es wechseln sich Passagen aus der Gegenwart und Rückblenden ab und wir haben es quasi mit zwei abgeschlossenen Geschichten zu tun, von denen die eine Züge eines Krimis hat. Letztendlich klären sich Elizabeths Verbleib und das Schicksal der Schwester auf. Allerdings versteht Maud es krankheitsbedingt nicht und so beginnt der Kreislauf um die Suche von Elizabeth von neuem.

 

Das Besondere an dieser Geschichte ist, dass sie in der ersten Person aus Mauds Perspektive geschrieben ist. So erhält der Leser einen Einblick in die Gedankenwelt einer Alzheimerkranken. Es berührt zutiefst zu lesen, wie Maud unter ihrer Krankheit leidet, z.B. wenn sie weint, weil sie einnässt, oder sich hilflos fühlt, als sie den Tisch falsch eindeckt. Fast schon kommen Ängste in einem auf, im Alter ebenso sich und sein Leben zu vergessen.

 

Auch die Einstellung Dritter zu Mauds Erkrankung wird gut beleuchtet. Ihre Tochter zeigt sich in bewundernswerter Weise äußerst geduldig mit Maud, wenngleich ihr oftmals überhaupt nicht danach zumute ist, was sich in häufigen Seufzern äußert, etwa wenn sie ihrer Mutter zum x-ten Mal die immer selben Fragen beantworten muss. Leute, die Maud nicht kennen, sind unsensibel und machen sich lustig über sie (der Polizist bei ihrer wiederholten Vermisstenanzeige auf dem Revier oder fremde Kinder, die sie einen geriatrischen Einbrecher nennen).

 

Die Thematik hat gelegentlich tragikomische Züge, welche einen eigentlich zum Lachen bringen könnten, etwa als Maud ihre Enkelin für das schlecht arbeitende Dienstmädchen ihrer Tochter hält, oder die Mitarbeiterin der Zeitung, die Maud bei der Aufgabe des Vermissteninserats behilflich ist, einen gesunden Menschen vor sich zu haben glaubt.

 

Angesichts der immer mehr an Bedeutung gewinnenden Demenzerkrankungen ein Buch, das sich unbedingt zu lesen empfiehlt. Ein gelungener Debütroman einer jungen englischen Autorin.