Rezension

Schlicht und schön

Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki - Haruki Murakami

Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
von Haruki Murakami

Alle, wirklich alle, schwärmen vom neuen Murakami. Das sollte misstrauisch machen, aber: "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki" sind wirklich bezaubernd. Was "1Q84" mit epischer Wucht entfaltete, wird hier komprimiert dargeboten, mit spannenden Wendungen und einer sprachlichen Vollkommenheit, die ihresgleichen lange suchen muss.

Die Geschichte: Tsukuru Tazaki ist 36 Jahre alt, als er erstmals beginnt, sich wirklich zu verlieben. Gleichzeitig merkt er, dass er nicht in der Lage ist, sich auf diese Liebe zu Sara mit der gebotenen Hingabe einzulassen. Die Suche nach den Ursachen führt ihn in die Vergangenheit - und zu dem Entschluss, sich ihnen in der Gegenwart zu stellen. Die Reise beginnt...

Das Werk Murakamis ist vielfältig. Einige Bücher sind extrem und bizarr ("Wilde Schafsjagd"), andere wiederum zart und poetisch ("Naokos Lächeln). Sein Buch über das Laufen ließ mich an seinem Verstand zweifeln - zum Glück folgte "1Q84" - und alle Zweifel waren beseitigt :-)

Das neue Buch ist ein Genuss, es findet Worte für tiefe Gefühle und ernste Gedanken, würzt kleine Alltagsbeobachtungen mit trockenem Humor, kurzum: ein Leseerlebnis, das die Sinne schärft und die Wahrnehmung verändert.

Viele Kritiker nennen Murakami banal und pornografisch. Auch das neue Buch ist sehr schlicht gehalten und ja: es enthält sexuelle Beschreibungen.

Für mich ist gerade das Schlichte das Meisterliche bei Murakami.

Die sexuellen Beschreibungen, alle aus Sicht des Herrn Tazaki verfasst, geben meiner Ansicht nach vor allem einen interessanten Einblick in seinen Charakter. Ist das erotisch? Sinnlich? Klischeebeladen? Sexistisch? Ein Urteil darüber gibt wiederum einen interessanten Einblick in die sexuelle Orientierung des Kritikers (oder auch der Kritikerin;-).

Eine Sammlung von Murakami-Rezensionen findet sich unter

http://www.perlentaucher.de/buch/haruki-murakami/naokos-laecheln.html

Fazit: Dieser Murakami ist äußerst lesenswert!

Zum Schluss: Der Begriff "Pilgerjahre" bezieht sich auf eine Musiksammlung von Franz Liszt ("Annés de pélerinage"), ein Stück der Sammlung ("Le mal du pays") spielt im Buch eine wichtige Rolle. Zwei genannte Interpretationen habe ich bei youtube gefunden:
Lazar Berman
http://www.youtube.com/watch?v=FDWUvc5wv7U
Alfred Brendel
http://www.youtube.com/watch?v=tXjXc35YBQI

Die beste Interpretation soll von Claudio Arrau stammen, da bin ich leider nicht fündig geworden.