Rezension

Schon in 70 Jahren könnte es wahr sein!

Hologrammatica
von Tom Hillenbrand

Bewertet mit 5 Sternen

Viele Leser kennen den Schriftsteller Tom Hillenbrand (46) vielleicht nur durch seine humorvollen Krimis um den Luxemburger Koch Xavier Kieffer, der außerhalb seines Sterne-Restaurants Verbrecher jagt und mysteriöse Rätsel löst. In eine völlig andere Welt entführt uns Hillenbrand mit seinen Wissenschaftskrimis um die Allmacht künstlicher Intelligenz. Nach „Drohnenland“ (2014) erschien im Februar sein zweiter SciFi-Krimi „Hologrammatica“, der den Leser wirklich bis zur letzten Seite zu packen versteht. Nicht etwa in weit entfernter Zukunft in unbekannter Galaxie, sondern in erschreckend nächster Zukunft spielt „Hologrammatica“ mitten in Europa. Es ist das Jahr 2088, statt der EU gibt es EURUS mit der Hauptstadt Sankt Petersburg, ein Umschlagplatz für die Siedlertrecks nach Sibirien. Denn die Erderwärmung ist weit fortgeschritten, das Eis an den Polen geschmolzen, Miami und andere Küstenstädte sowie Inseln wie die Malediven sind unter Wasser. Die Erdbevölkerung ist durch eine Pandemie halbiert, der Alltag nur mehr Schein als Sein, denn die Menschen leben in einer durch Holonets vorgetäuschten Welt, in der das wahre, schmutzige Bild von Straßen und Häusern durch Hologramme verschönt wird. Menschliche Gehirne können gescannt und in fremden Körpern hochgeladen werden, so dass man in der Öffentlichkeit in seinem Wunschkörper auftreten kann. Alles scheint in dieser hochtechnisierten Welt möglich. Nur die Suche nach der Unsterblichkeit des Menschen blieb bisher ohne Ergebnis. Kann künstliche Intelligenz dieses Problem der Menschheit lösen? Wollen wir Menschen aber dafür die Kontrolle an uns überlegene elektronische Superhirne abgeben. Im Roman begleiten wir den aus Bengalen stammenden Londoner Galahad Singh, als Quästor eine Art Privatdetektiv, auf der Suche nach der vermissten Computerexpertin Juliette Perotte. Trotz aller Spannung und beängstigenden Visionen bleibt Hillenbrand auch in diesem Roman dem aus seinen kulinarischen Krimis bekannten Sinn für Humor treu. In dieser hochcomputerisierten Scheinwelt präsentiert er uns ausgerechnet den so unvollkommenen Protagonisten, der statt eines digitalen Hirns noch immer seine menschlichen grauen Zellen nutzt. Überhaupt ist in dieser scheinbar so perfekten Welt, in der man mit Überschallgeschwindigkeit fliegt und mit einem Spacelift zu einem Asteroiden-Gürtel übersetzen kann, nicht alles perfekt: Der Automatenkaffee im Büro schmeckt immer noch miserabel. „Hologrammatica“ ist kein typischer Sci-Fi-Roman, sondern eher ein spannender Krimi, der in allzu naher Zukunft spielt, weshalb er auch von SciFi-Verweigerern gelesen werden darf. Aber irgendwie verunsichert der Roman doch, irgendwie fühlt man sich an George Orwells „1984“ erinnert, der ja auch 1948 in seinem Klassiker eine allzu nahe Zukunft beschrieb: Könnte nicht doch vieles bald Wirklichkeit sein – und die eigenen Enkel könnten es noch erleben? Gerade diese zeitliche Nähe ist faszinierend. Es mag ja sein, dass nicht alle Phantasien des Autors wahr werden, manche auch zugunsten der Spannungskurve überzeichnet sein mögen. Aber die eine oder andere Idee könnte doch vielleicht wirklich ….