Rezension

Schuld und Buße – 1-855-2-Nowhere Man – Herausragend, intelligent und hochspannend

Projekt Orphan
von Gregg Hurwitz

Bewertet mit 5 Sternen

Agent Orphan X tötete im geheimen Auftrag der US-Regierung. Kaltblütig, reich an Action und stets von Erfolg gekrönt, führte er verlässlich komplexe Aufträge aus.

Seine Tarnung ist die beste. Sein Zuhause gleicht einer Festung. Es ist Schuss sicher, ausgestattet mit der modernsten Überwachungs- und Sicherheitstechnik, einem hängenden Kräutergarten mit Bewässerungssystem und einem Base-Jumping-Schirm, für einen möglichen schnellen Abgang. Es ist ein Hochsicherheitstrakt, in das kein Eindringling vordringen kann, aber es ist auch das Heim eines von außen unnahbaren, einsamen Menschen.

Für seine Nachbarn ist Evan ein Vertreter der Industriereiniger vermarktet. Nur Nachbarin Mia, mit ihrem kleinen Sohn Peter, weiß von Evans verdecktem Leben. Evan und Mia wissen beide, dass all die Zuneigungen die sie füreinander empfinden, das Risiko nicht wert sein können, sich näher aufeinander einzulassen und doch schwächelt Evans Vernunft.

Einsam zwar, aber finanziell unabhängig lebt Evan nach seinen 10 Geboten, die ihm sein Ziehvater Jack Jones antrainierte und lehrte, nach dem er Evan aus einem dreckigen Leben ins Orphan Programm rekrutiert hatte. Jack Jones hat Evan zum besten und gefragtesten Orphan ausgebildet und er trainierte ihn auch, seine Menschlichkeit zu bewahren.

Heute hilft Evan unentgeltlich denen, die sich in einer lebensbedrohlichen Notlage befinden und keinen Ausweg mehr sehen. Die unkonventionelle Hilfe, die er diesen Menschen zukommen lässt, ist seine Form der Buße für all die von ihm Getöteten und es ist sein Umgang mit der Schuld, die er am Tod von Jack Jones trägt.

Evan Smoaks Ausstieg, macht ihn zum meist gejagten Orphan. Seine Gegner wenden alle Mittel auf, um ihn auszuschalten.

Als Evan einer Jugendlichen helfen will, die droht einem Mädchenhändlerring zum Opfer zu fallen, wird er überwältigt und entführt. Evan erwacht in einem luxuriös ausgestatteten Chalet und stellt bald fest, dass sein Entführer in absurden Dimensionen denkt und handelt, die die seiner üblichen Gegner bei weitem übertreffen.

Evan kämpft um sich zu befreien und er will das Mädchen retten, denn das 10. Gebot gilt weiterhin:

Lasse niemals einen Unschuldigen sterben.

Der Autor:

Gregg Hurwitz schreibt neben Thrillern Drehbücher für die großen Hollywood-Studios sowie Comicbücher für so prestigeträchtige Verlage wie Marvel (Wolverine, Punisher) und DC (u.a. Batman). Mit seinen Büchern hat er den Weg auf die New York Times-Bestsellerliste gefunden und seine 15 Thriller sind mittlerweile in 22 Sprachen übersetzt worden. (Quelle: HarperCollins)

Die Verfilmung von Orphan X ist bereits in Planung und wir dürfen sicher ein komplexes und intelligentes Filmhighlight erwarten.

Reflektionen:

Projekt Orphan ist der zweite Teil der Orphan-Trilogie von Greg Hurwitz, der durchaus auch als stand alone gelesen werden kann. Doch ich rate dringend davon ab, denn wer sollte schon freiwillig auf extrem spannende Lesestunden verzichten, indem er Orphan X nicht liest.

Mit Projekt Orphan überzeugt Gregg Hurwitz erneut literarisch. Nüchtern, unverblümt, zackig und angereichert mit Akzenten eines Drehbuchs, produziert Gregg Hurwitz einen Schreibstil, der auf fesselnde Weise kontinuierlich an der Hochspannungsschraube dreht.

Obwohl der Schreibstil flüssig und leicht zu lesen ist, kann nur durch ein konzentriertes Lesen die Intelligenz und Komplexität des Thrillers erfasst werden, der noch immer ein wenig an den Agenten Jason Bourne erinnert.

In diesem Teil der Trilogie erlebt man den Ex-Agenten Evan Smoak auch schwächelnd am Boden. Zwar verliert er nie sein selbstbewusstes Auftreten und kontert in gewitzten und feurig spritzigen Dialogen, aber in diesem Thriller spielen auch Evans Emotionen eine tragende Rolle.

Wieso?

Jack hebt den von Blut überzogenen Arm. Und deutet weg von sich. Damit verbannt er Evan vom intimen Anblick seiner letzten, mühsamen Atemzüge.

Verdammt Evan dazu, ein Leben lang für diesen Fehler zu büßen. Entfremdet Evan von sich selbst. Das blutige Flanellhemd um die Hand gewickelt, flieht Evan. Er flüchtet in die Dunkelheit, denn nur sie kann seine abgrundtiefe Schuld verhüllen. Und nur in der Dunkelheit ist er allein.

Überwältigt und entführt muss Evan all seine Kräfte mobilisieren, um sich zu befreien und es wird brutal und blutig. Angetrieben und hoch motiviert durch sein Ziel ein Menschenleben zu retten, scheitert er dennoch, fällt zurück, doch es würde nicht seiner intelligenten und scharfsinnigen Persönlichkeit entsprechen, wenn er nicht mit zusammen gebissenen Zähnen, unter der Selbstbeherrschung seines Körpers kämpft wie ein Tier. Rückschläge würden jeden anderen zermürben, doch Evan kämpft stets mit seinem Ziel vor Augen.

Evan Smoaks einzigartige Persönlichkeit und seine Gedankenwelt werden in vielschichtiger Weise dargestellt. Manchmal nur Stück für Stück, ähnlich wie geschickt platzierte Cliffhanger und manchmal perspektivisch, in Form eines maßvollen Rückblicks, wie alles anfing und sich um ihn entwickelte.

Als Nowhere Man war Evan bisher in jedem Kampf unschlagbar und ein Gewinner, aber nun erlaubt Gregg Hurwitz seiner Figur durchaus Schwächen. Auch als Orphan X agierte, war es dem Autor gelungen seine intelligente Figur nachvollziehbar und glaubhaft zu präsentieren, aber durch Evans Versagen in diesem Thriller, unterstreicht Gregg Hurwitz die Authentizität der Figur nochmals um Weiten.

Überhaupt gelingt es dem Autor scheinbar spielend leicht, komplexe Figuren interessant zu erschaffen. Die Figur des Entführers besitzt ebenso eine intelligente Tiefe, wenn auch auf anmaßende Weise, absurde Denkweise und egoistischem Verhalten. Ob Hauptfiguren oder Nebencharaktere, es macht einfach viel Spaß, sich auf Hurwitz Figuren einzulassen.

Betrachtet man die Story, stellt man fest, dass sie mit der des Orphan X kaum zu vergleichen ist. Wie ursprünglich vermutet, dass der Kern des Reihenauftaktes aufgegriffen würde, überrascht Hurwitz mit einer Wendung in der Geschichte. Zwar genießt man weiterhin Details von Technik, Waffen, Kämpfen und James-Bond-Features, aber die Story dreht sich plötzlich anders.

Manche Rezensionen erzählen von empfundenen Längen, doch ich konnte keinerlei dessen empfinden. Von der ersten bis zur letzten Seite war ich in Hurwitz Stil versunken und durch eine herausragend entwickelte Agenten-Story enorm spannend, interessant und außergewöhnlich unterhalten.

Projekt Orphan ist für mich ein Highlight.

Fazit und Bewertung:

Projekt Orphan ist der zweite Teil der Agenten-Reihe um Evan Smoak. Erneut überzeugt Hurwitz literarisch, mit einer intelligenten Handlung, außergewöhnlichen Charakteren bestückt mit einer angenehmen Tiefe und einer fesselnden Agenten Handlung. Wer Nervenkitzel liebt und wen es nicht stört, dass es hin und wieder brutal zugeht, der darf sich diesen fesselnden Agenten-Thriller nicht entgehen lassen.

5 Sterne

©nisnis-buecherliebe.de