Rezension

Schwere Themen, leicht verpackt

Nachruf auf den Mond - Nathan Filer

Nachruf auf den Mond
von Nathan Filer

Bewertet mit 5 Sternen

Matthew erzählt uns die Geschichte seines Lebens und seiner Familie. Vor allem ist das aber die Geschichte vom Tod seines Bruders, von großer Trauer und einer nervenzerreißenden Krankheit. Denn Matthew ist schizophren, kämpft damit Ordnung in seine Gedanken zu bringen und den Kontakt zum Boden nicht zu verlieren. Und das, wo er doch auch so starke Sehnsucht nach seinem Bruder hat, den er in Mond und Wolken entdeckt und den er doch nicht erreichen kann.
Keine Angst: trotz aller Tragik und Schwere ist “Nachruf auf den Mond” immer voll Liebe und Wärme und bietet auch einen Hauch Humor!

Für mich wirkten die Protagonisten und die Handlung von „Nachruf auf den Mond“ schon fast zu extrem: Matthews Bruder Simon, von dessen Tod man zu Beginn der Geschichte erfährt, hat das Down Syndrom, Matthews Mutter stürzt in Depressionen, Matthew selbst taucht in den Wahn der Schizophrenie ab. Für eine Geschichte ist das fast zu viel, fügt sich aber in diesem Roman trotzdem ganz natürlich und wirkt authentisch.
Das sich dieses Buch so phantastisch liest und wunderbar fügt, obwohl die Handlung mit viel „Ballast“ beladen ist, hat mehrere Gründe.
Die Protagonisten sind zwar allesamt „ganz schön kaputt“, wirken aber liebevoll und echt gezeichnet. Es wird nicht dramatisiert, Simon hatte das Down Syndrom, das ist einfach eine seiner Eigenschaften, wie es blonde Haare und das breite Grinsen auch sind. Auch Matthews Erkrankung wird nicht zum Schicksalsschlag überzeichnet, sondern neutral bewertet. Die Auswirkungen auf sein Leben können dabei mal angenehm, mal unangenehm sein, das ist einfach so.
Das Buch reduziert sich außerdem nicht allein auf Beschreibungen der Charaktere, sondern die Handlung entwickelt sich spannend, bietet Überraschungen und Wendepunkte. Ganz zu Beginn der Geschichte wird der tragische Tod von Simon erwähnt, dessen Umstände werden erst im Laufe der Geschichte enthüllt. Dadurch bleibt beim Leser die ganze Zeit diese Anspannung und Neugier, man muss erfahren was geschah. So dreht sich die Geschichte natürlich hauptsächlich um Matthew, wird durch seine Augen erzählt und beschäftigt sich viel mit seinem Wahn, aber die Handlung strebt immer auch der Auflösung des Hauptthemas zu. Besonders in den Abschnitten der Handlung, in denen Matthew während seiner wahnhaften Phasen berichtet, behält das Buch durch diese Spannung immer eine Richtung und verliert sich nicht zu sehr in Verwirrung und Chaos.
Trotzdem ist das Chaos in Matthew Gedanken auch ein weiterer Baustein, der die Geschichte so wunderbar und wertvoll macht. Denn dieses Chaos wird sowohl durch den Erzählstil als auch durch die Aufmachung des Buches phantastisch weitertransportiert. Die einzelnen Kapitel sollen wirken, als hätte Matthew sie selbst notiert. Da gibt es verschiedene Schriftsätze und Erzählarten, kurze und lange Kapitel wechseln sich ab, Grafiken und „Dokumente“ werden eingebunden.
Bewundernswert für mich war außerdem der Detailreichtum der Geschichte. Matthews Erzählstimme bezieht sich auf winzigste Informationsschnipsel vergangener Kapitel und zieht abenteuerliche Verbindungen zwischen den verschiedenen Themen. Durch diese tollen Verknüpfungen und detaillierten Schilderungen wirkt die ganze Geschichte ungemein durchdacht. Die einzelnen Kapitel sind dabei recht ausgewogen einerseits authentisch wirr und wahnhaft, andererseits wunderbar flüssig erzählt. Ich wollte anfangs nur „kurz in das Buch reinlesen“ und habe es dann am Stück verschlingen müssen. Unterm Strich gibt das also ganz eindeutige 5 von 5 Sternen für ein wunderbares Buch, ganz nach meinem Geschmack!