Rezension

Sehnsucht nach dem Selbst in Zeiten der Passivität

Rechts blinken, links abbiegen - Dorthe Nors

Rechts blinken, links abbiegen
von Dorthe Nors

Sonja will endlich das Autofahren lernen. Mit über vierzig, getrennt, unglücklich mit Job, Wohnort, Beziehungen, spürt sie Sehnsucht.

Sie will zurück an den Ort ihrer Kindheit, aber auch in die Einfachheit. Hin zu Momenten, die vergangen sind. Und das ist es auch schon. Im Grunde will Sonja einfach nur Auto fahren lernen. Mehr nicht.

Ich fand es sehr interessant, Sonja in diesem Buch zu begegnen. Sie befindet sich im Stillstand und will so unbedingt heraus, dass es mich immer wieder verwundert. Als eine zutiefst passive Gestalt macht es ihr schon Bauchschmerzen die dominante Fahrlehrerin gegen einen Fahrlehrer einzutauschen. Sonja kann nicht Nein sagen und ihre Meinung ausdrücken traut sie sich schon gar nicht. Das Übersetzten der blutrünstigen Bücher, sie alle so gerne lesen, macht ihr Angst.

Zur Metapher ihrer Sehnsucht nach zu Hause wird einmal die trostlose Landschaft. Sie sehnt sich nach der Weite, den Bergen, den goldenen Feldern, in denen sie sich als Kind versteckt hat. Und ihr wird eine Ebene präsentiert. Sie schwankt zwischen Extremen. Und irgendwie wird klar, sie ist eigentlich ein brodelnder Vulkan. Doch statt auszubrechen, beugt sie sich immer wieder, nimmt Abzweigungen, die es ihr erlauben, weiterhin passiv zu bleiben.

Als ihre Masseurin sie zu einem spirituellen Ausflug überredet, bleibt Sonja nur der Ausweg, sich auf ein Klos zu flüchten und zu warten, bis „die anderen“ ohne sie weiter gehen. „Die anderen“ wird zum kollektiven Übel. Alle, die ihr Zuschreibungen geben, sie mit sich ziehen wollen, um in ihr eine Verbündete zu finden. Der Fahrlehrer, der nicht die erhoffte Wendung bringt, sondern eine ganz andere will. Die beste Freundin, die Sonja von ihrem Liebesleben berichtet. Doch das alles ist Sonja nicht.

Es war herrlich erfrischend, dass dieser Roman so zentriert auf seine Protagonistin ist. Sonjas Passivität wird dadurch zur Möglichkeit, ihre Innensicht, ihre Gedanken bedeutungsschwer werden zu lassen. Es gibt keinen Kerl, in dem Sonja sich verlieren will. Ihr geht es gerade um das Gegenteil. Das Ankommen – das Zurückkommen. Ich bin ehrlich nicht ganz glücklich mit diesem starren Blick in die eigene Kindheit, die kindliche Heimat als räumlicher Ort der Zufriedenheit. Denn natürlich romantisiert Sonja hier. Sie überzeichnet ihre Erinnerungen als Wunschvorstellungen. Ich glaube nicht, dass sie dort glücklich werden kann.

Aber neu anfangen könnte sie. „Back to the roots“ ganz wörtlich. Zurück zu ihren Wurzeln. Und die werden hier großartig mit einem Gegenkonzept aufgezeigt. Mit der Schwester, die Sonja nie sprechen will. Mit dem Lebensweg, den sie nie gegangen ist. Sonja sucht verzweifelt die Nähe zur Schwester. Zu dem Ich, das sie hätte sein können. Diese Metapher wird hier schön gestaltet. Weniger schön ist, dass Sonjas Schwester Klischeecharakter hat. Sie ist verheiratet, Mutter, im Heimatdorf geblieben. Das andere Extrem und ich glaube, dass Sonja das auch nicht glücklich gemacht hätte. Dafür ist sie viel zu zufrieden mit sich selbst – nur ihre Umgebung stört sie.