Rezension

Sehr langatmig, für mich kein Thriller

Das Böse in deinen Augen - Jenny Blackhurst

Das Böse in deinen Augen
von Jenny Blackhurst

~ „Das Böse in deinen Augen“ von Jenny Blackhurst hat mich insgesamt leider enttäuscht. Ich habe mir hier viel mehr psychologische Spannung, Atmosphäre und Innovation erwartet. Die Geschichte kommt leider nur sehr zäh in Gang, ich habe mehrmals mit dem Gedanken gespielt, das Buch abzubrechen. Erst im letzten Fünftel wird die Spannung stark angezogen, dieser Teil konnte mich dann auch überzeugen. Prinzipiell mochte ich den einfachen, flüssigen Schreibstil, die ernsten Themen und die teilweise gelungene Figurenzeichnung, jedoch hat das Buch in all diesen Bereichen auch seine Schwächen wie zum Beispiel Probleme bei der Zeitenfolge, eine unprofessionelle, teilweise egoistische Protagonistin und austauschbare Nebenfiguren. ~

Inhalt

Die ausgebildete Kinderpsychologin Imogen Reid zieht nach ihrer Kündigung mit ihrem Mann in das Dorf zurück, in dem sie aufwuchs. Nun arbeitet sie für einen staatlichen psychologischen Dienst, der Schulen Unterstützung anbietet, wenn es mit einzelnen Kindern Probleme gibt. Imogens erster Fall scheint gleich zu ihrem wichtigsten zu werden: Die elfjährige Ellie Atkinson, die ihre Eltern und ihren Bruder in einem Brand verloren hat, erinnert die Psychologin an ihre eigene traurige Kindheit. Ellie ist jedoch kein normales Mädchen. Sie wird als komisch und seltsam beschrieben, manche schwören sogar, sie sei böse. Daran will Imogen aber nicht glauben. Bis etwas Furchtbares passiert. Mit einem Mal ist sich Imogen nicht mehr so sicher…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzähler, Figuraler Erzähler, Präsens
Perspektive: aus weiblicher Perspektive (hauptsächlich aus Ellies und Imogens Sicht)
Kapitellänge: kurz
Tiere im Buch: -/+ Ein Mensch genießt die Macht, die er über eine Motte hat und überlegt, ob er sie töten soll. Am Ende überlebt sie jedoch.

Warum dieses Buch?

Dieses Buch hat mich deshalb neugierig gemacht, weil der Klappentext sehr spannend klang und mich vage an den Horrorfilm „Orphan – Das Waisenkind“ erinnerte. „Psychologische Spannung mit Gänsehauteffekt“ wurde versprochen – das klang für mich unwiderstehlich.

Meine Meinung

Einstieg (-)

Den Einstieg nahm ich als furchtbar zäh wahr. Leider dauerte es ewig, bis ich endlich in die Geschichte fand: Erst im letzten Fünftel bin ich endlich angekommen. Normalerweise bin ich nicht bereit, einem Buch so lange Zeit zu geben, mich zu überzeugen. Ich habe leider auch immer wieder mit dem Gedanken gespielt, diesen „Thriller“ abzubrechen.

Inhalt, Themen & Botschaften (+/-)

Jenny Blackhurst kreiert eine Ausgangslage, die mich ein wenig an die Steven-King-Verfilmung „Carrie“ erinnert hat. Viele Elemente sind nicht neu, allerdings bemüht sich die Autorin durchaus, diese auf frische Weise zu arrangieren. Überraschen konnte sie mich hierbei jedoch oft nicht. Obwohl die Struktur eigentlich typisch für einen Thriller ist, so hätte das Tempo meiner Meinung nach stark angezogen werden müssen. 

Die Beziehung zwischen Imogen und Ellie und Imogens Gefühlswelt stehen im Fokus, Themen wie Familie, Liebe, Kindheitstraumata und die Frage, was ein Zuhause ausmacht werden teilweise tiefgreifend behandelt, jedoch wurden mir manche Handlungsmotive schon zu direkt beschrieben und manche Erklärungen zu oft wiederholt. Es ist ein Buch, bei dem man nicht wirklich viel mitdenken oder eigene Schlüsse ziehen muss. Zudem war die Struktur mit den zahlreichen Rückblenden stellenweise etwas unnötig kompliziert. Das Ende der Geschichte war mir leider zu viel des Guten. Meiner Ansicht nach hat die Autorin es hier übertrieben und ohne den Epilog wäre es ein viel runderes, glaubwürdigeres Ende geworden.

Schreibstil (+/-)

Eigentlich ist der Schreibstil angenehm und flüssig zu lesen. Er ist einfach und unauffällig, jedoch aufgrund der vielen langen Sätze und Satzgefüge vielleicht für einen Thriller etwas zu behäbig. Bestimmt ist das einer der Gründe dafür, dass es mit dem Spannungsaufbau nicht wirklich geklappt hat. Die Emotionen der Figuren werden aber sehr anschaulich geschildert. Was die Einführung und Beschreibung der Charaktere geht, hätte ich mir allerdings besonders am Beginn mehr Details gewünscht, die im Kopf bleiben. So wusste ich zum Beispiel zwischendurch am Anfang einmal nicht, ob Sarah oder Mary die Mutter ist. 

Eine Sache hat mich massiv am Schreibstil gestört: Die exzessive, oft falsche Verwendung des Plusquamperfekt. In indirekten Reden oder generell, wenn im Präsens erzählt wird, sollte für vergangene Ereignisse nicht standartmäßig zum Plusquamperfekt gegriffen werden. Das hat mich völlig aus dem Lesefluss gerissen und auch sehr genervt. Ich weiß nicht, ob dies an der Übersetzung oder am Originaltext liegen, aber ich empfand sie als sehr störend. 

„‘Du hast nichts getan. Die Frau aus dem Auto hatte das gesagt, und sie hatte alles gesehen.‘“ E-Book, Position 1202

„‘Ich hatte sie nicht gestoßen. Das habe ich dir doch schon gesagt. Und du hattest gesagt, dass du es gesehen hast.‘“ E-Book, Position 2584

Protagonistin & Figuren (+/-)

Abwechselnd wird hauptsächlich aus der Sicht von Ellie und Imogen erzählt, zwischendurch wechselt die Perspektive aber auch zu anderen Figuren. Diese oft überraschenden Perspektivwechsel fand ich zwar etwas inkonsequent, sie haben mich aber nicht gestört, da sie oft interessante Einblicke in essentielle Momente im Leben anderer Figuren geben. Ellie und Imogen sind an sich gut gezeichnet, erhalten ihre liebenswerten Seiten und ihre Schwächen. Dennoch blieb vor allem Imogen für mich lange nicht greifbar und auch etwas unsympathisch. Ich konnte ihr Verhalten oft nicht nachvollziehen, fand sie teilweise auch egoistisch. Von einer professionellen Kinderpsychologin hätte ich mich mehr Vernunft erwartet und ein empathischeres Eingehen auf die Sorgen der Erwachsenen in Ellies Umfeld. Sie erinnerte mich ein bisschen an die Hauptfigur von „Wahrheit gegen Wahrheit“. Nach und nach fand ich aber eine Bindung zu Imogen. Ihre intensiven Emotionen, Ängste und ihre Verzweiflung wurden von der Autorin sehr gut geschildert. Ich liebe ja menschliche Abgründe und dramatische Szenen – was das betrifft, kam ich vor allem im letzten Viertel auf jeden Fall auf meine Kosten. 

„Ich nehme einen Schluck direkt aus dem Karton und muss mich beherrschen, nicht über meinen Ungehorsam zu kichern – Dan würde sich schon bei der Vorstellung schütteln, dass ich direkt aus der Packung trinke.“ E-Book, Position 1929

„‘Sie wollen doch nicht unterstellen, dass Ellie, sollte sie woanders hinkommen, Ihnen etwas tun könnte? Ist Ihnen bewusst, wie lächerlich das klingt? Sie ist ein elfjähriges Mädchen.‘ […] Ich lächle und mache mich bereit, etwas Herablassendes zu sagen.“ E-Book, Position 1816

Die Nebenfiguren blieben mir teilweise zu blass und zu konturlos. Imogens Freund beispielsweise erschien mir vollkommen austauschbar, er scheint ein leere Hülle zu sein, keine eigene Persönlichkeit zu haben, nur aus seinem Kinderwunsch und seinem extrem rücksichtvollen Verhalten Imogen gegenüber zu bestehen. Hier hätte ich mir mehr Erinnerungswürdigkeit und Einzigartigkeit gewünscht, ich hätte gerne ein besseres Gespür für das Ensemble von Jenny Blackhurst entwickelt. Manche Figuren sind aber ohne Frage sehr gelungen. Hannah Gilbert konnte mich zum Beispiel absolut überzeugen.

Spannung & Atmosphäre (-!)

Die größte Schwäche des Buches ist mit Sicherheit der Spannungsaspekt. Wäre die Geschichte von Anfang an interessanter, atmosphärischer, spannender und temporeicher gewesen, hätte dieses Buch bestimmt eine bessere Bewertung erhalten. So aber musste ich mich über weite Teil durch die Geschichte quälen. Mir war egal, wie es weiter- und ausgehen würde, sodass ich mehrmals mit dem Gedanken gespielt habe, das Buch abzubrechen. Das ist natürlich ein sehr schlechtes Zeichen. Auch wenn es zwischendurch rätselhafte und unheimliche Szenen gab, reichte das nicht, um meine Neugier am Leben zu halten. 

Erst im letzten Fünftel, als ich eigentlich schon aufgegeben hatte, wurde die Spannung rasant angezogen, es kam zu Gänsehaut-Momenten (mich erschreckt immer wieder, wie weit Kinder, deren moralisches Bewusstsein noch nicht voll ausgebildet ist, bereit sind zu gehen) und gut geschriebenen, dramatischen Szenen, die mir sehr gut gefallen haben. Was den Spannungsverlauf betrifft, erinnert mich dieses Buch, das erst im letzten Teil zum Thriller wird und davor sehr zäh dahinplätschert, leider an „Don’t You Cry – Falsche Tränen“ von Mary Kubica. Trotzdem gibt es durchaus einige gelungene, unerwartete Wendungen. 

Geschlechterrollen (+/-) 

Was die Geschlechterrollen betrifft, sehe ich das Buch zwiespältig, einerseits gibt es viele starke, selbstständige Frauen im Buch, andererseits werden zwischendurch immer wieder Genderstereotypen ersichtlich, wenn etwa indirekt angedeutet wird, dass das perfekte Versteck einer Frau der Platz im Badezimmerschrank hinter den Putzmitteln sei – weil da ein Mann ja niemals nachsehen würde, weil der Haushalt ja schließlich Aufgabe der Frau ist, richtig? Falsch! Einmal bringt es Imogen ein wichtiges Thema auf den Punkt (auch wenn ihr Ehemann bestimmt seinen Teil beitragen würde): In den meisten Beziehungen schleicht sich, sobald das erste Kind da ist, sofort die traditionelle Rollenverteilung ein. Viele Männer, die sich unbedingt ein Kind wünschen, beteiligen sich dann immer noch viel zu wenig bis gar nicht an der Kindererziehung, noch immer muss meist die Frau beruflich viel aufgeben und zurückstecken, sie ist es auch, die ihren Körper „opfert“ und die Schmerzen und Nebenwirkungen einer Schwangerschaft ertragen muss. Sie ist es auch meist, die mit den Kindern allein gelassen wird, sollte die Beziehung scheitern.

„‘Hast du jemals darüber nachgedacht, dass ich eventuell nicht meine Karriere, meinen Körper, mein ganzes Leben für dich aufgeben will? In deiner Welt ist alles so einfach, nicht wahr? Du musst nichts opfern, machst genauso weiter wie bisher, mit dem einzigen Unterschied, dass du nebenher ein niedliches Baby anhimmeln und mit ihm spielen kannst – während ich diejenige sein werde, die fett und erschöpft ist, die um ein Uhr nachts die Windeln wechselt und…'“ E-Book, Position 3413

Mein Fazit

„Das Böse in deinen Augen“ von Jenny Blackhurst hat mich insgesamt leider enttäuscht. Ich habe mir hier viel mehr psychologische Spannung, Atmosphäre und Innovation erwartet. Die Geschichte kommt leider nur sehr zäh in Gang, ich habe mehrmals mit dem Gedanken gespielt, das Buch abzubrechen. Erst im letzten Fünftel wird die Spannung stark angezogen, dieser Teil konnte mich dann auch überzeugen. Prinzipiell mochte ich den einfachen, flüssigen Schreibstil, die ernsten Themen und die teilweise sehr gelungene Figurenzeichnung, jedoch hat das Buch in all diesen Bereichen auch seine Schwächen wie zum Beispiel Probleme bei der Zeitenfolge, eine unprofessionelle, teilweise egoistische Protagonistin und austauschbare Nebenfiguren. 

Empfehlung: Ich würde das Buch nur Menschen empfehlen, die sehr geduldig sind und keinen wirklich spannenden Thriller erwarten. Ansonsten kann ich leider keine Empfehlung aussprechen.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 3 Sterne
Ausführung: 3 Sterne
Schreibstil: 3,5 Sterne
Protagonistin: 3 Sterne
Figuren: 3,5 Sterne
Atmosphäre: 2,5 Sterne
Spannung: 2 Sterne
Emotionale Involviertheit: 2 Sterne
Geschlechterrollen: +/-

Insgesamt:

❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 2,5 insgesamt enttäuschte Lilien!