Rezension

Sehr unterhaltsam, aber keineswegs perfekt

Scythe 01 - Die Hüter des Todes - Neal Shusterman

Scythe 01 - Die Hüter des Todes
von Neal Shusterman

Eine kurzweilige, äußerst unterhaltsame Dystopie (oder Utopie?), die durch ihren angenehmen, einfachen Schreibstil zum Pageturner wird und mit einer frischen Idee und vielen unvorhergesehenen Wendungen punkten kann. Dennoch reicht es nur für vier Sterne: Sehr gestört haben mich die Widersprüche in der erdachten Welt. Zudem wünsche ich mir für den nächsten Band vor allem eines: mehr Emotionen!

* Die Rezension enthält Spoiler! Vor diesen wird noch einmal extra gewarnt. *

~ Eine kurzweilige, äußerst unterhaltsame Dystopie (oder Utopie?), die durch ihren angenehmen, einfachen Schreibstil zum Pageturner wird und mit einer frischen Idee und vielen unvorhergesehenen Wendungen punkten kann. Dennoch reicht es nur für vier Sterne: Sehr gestört haben mich die Widersprüche in der erdachten Welt. Zudem wünsche ich mir für den nächsten Band vor allem eines: mehr Emotionen! ~

Inhalt

Endlich: Es ist vollbracht! In der Zukunft ist die Sterblichkeit besiegt und eine riesige künstliche Intelligenz sorgt dafür, dass es allen Menschen auf der Welt gut geht. Um das weiterhin explodierende Bevölkerungswachstum etwas einzudämmen, wurden die Scythe erschaffen. Die Hüter des Todes haben die Aufgabe, pro Jahr 250 Seelen „nachzulesen“, also zu töten. Überraschend werden Citra und Rowan als Lehrlinge von einem Scythe auserwählt. Die Ausbildung ist hart, doch noch mehr graut den beiden vor dem Abschluss: Nur einer von beiden wird zum Amt zugelassen werden, und die erste Aufgabe des Gewinners wird es sein, den anderen nachzulesen…

Informationen

Einzelband oder Reihe: Band #1 der „Scythe“-Trilogie (der nächste Band erscheint im Mai 2018)
Erzählstil: Figuraler Erzähler, Präteritum;
Perspektive: abwechselnd aus männlicher und weiblicher Sicht (Citra und Rowan)
Kapitellänge: normal (ca. zwischen 4 und 12 Seiten)
Tiere im Buch: :) Es werden im Buch keine Tiere getötet oder gequält.

Zitate

Mit dem Messer in der Hand ging der Scythe zur Tür und ließ keinen Zweifel daran, wie er ihre Nachbarin nachlesen wollte. Bevor er ging, wandte er sich an Citra.
„Du schaust hinter die Fassaden der Welt, Citra Terranova. Du würdest eine gute Scythe abgeben.“
Citra wich entsetzt zurück. „Das würde ich nie sein wollen.“
„Das“, sagte er, „ist die wichtigste Voraussetzung.“ Seite 21

Meine Meinung

Einstieg & Schreibstil

Der Einstieg in das Buch gelingt überaus leicht. Das lag sicher auch an meiner Vorfreude. Schon lange habe ich mich nicht mehr so auf ein Buch gefreut, weil mich der Klappentext sofort überzeugen konnte und weil mich der Hype im englischsprachigen Raum sehr neugierig machte. Sofort stürzte ich mich also in diese Geschichte und fühlte mich, auch wenn man in den ersten 100 Seiten gefühlt 1000 Fragen hat, dennoch sehr gut an die Hand genommen. Immer wieder enthüllt der Autor häppchenweise neue Aspekte seiner Zukunftsvision und hält so das Interesse des Lesers am Leben.

Der Schreibstil des Autors ist überaus flüssig und angenehm lesbar, man hat wirklich das Gefühl, dass die Seiten nur so vorbeirauschen. Ich kann noch immer nicht glauben, dass dieses Buch tatsächlich über 500 Seiten hatte, so kam es mir überhaupt nicht vor! Gut finde ich, dass der Schreibstil nicht zu detailliert ist, aber dennoch ausreichend anschaulich, so dass man sich Citras und Rowans Welt gut vorstellen kann. Aufgrund des einfachen Schreibstiles halte ich das Buch besonders geeignet für Jugendliche und WenigleserInnen, die mit „Scythe“ durchaus die Freude am Lesen (wieder)entdecken könnten. Allerdings fehlte mir bei Neal Shustermans Schreibstil teilweise etwas Tiefe, vor allem, was Gefühle angeht. Wie in vorigen Rezensionen schon geschrieben wurde, scheint sich der Autor hier zurückzuhalten, weswegen der Schreibstil stellenweise sachlich und irgendwie distanziert wirkt.

Aufbau

Interessant ist der Aufbau des Buches. Die unterschiedlichen Kapitel werden unterbrochen von Ausschnitten aus den Tagebüchern berühmter Scythe. So bekommt man immer wieder interessante Zusatzinfos und Einblicke in den Alltag, die Einstellungen und die Welt der Hüter des Todes.

Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht von Citra und Rowan erzählt, allerdings kommt es vor allem gegen Ende immer stärker zu einer Vermischung der beiden Perspektiven. Hin und wieder wechselt die Perspektive sogar absatzweise.

Protagonist & Personen

Interessanterweise finde ich, dass dem Autor die Nebenpersonen besser gelungen sind als die beiden Protagonisten. Den Nebencharakteren verleiht Neal Shusterman erstaunlich viel Substanz und Tiefe, so dass ich mit ihnen teilweise mehr mitgefiebert (und mitgelitten) habe als mit Citra und Rowan.

Bei den Hauptpersonen hingegen fehlte mir das gewisse Etwas, diese Besonderheit, die dazu führt, dass man eine Figur für immer im Gedächtnis behält und dass man sich ihr ganz nah fühlt (wie damals zum Beispiel bei Katniss aus „Die Tribute von Panem“). Hier schien es eine gewisse Distanz zu geben. Citra und Rowan bleiben stets ein wenig farblos, obwohl ich ihr Verhalten eigentlich immer gut nachvollziehen konnte. Dieses gewisse Etwas, dieses atemlose Mitfiebern mit den Figuren, hätte dieses Buch sicher noch viel besser gemacht.

* Spoiler zum Ausgang der Geschichte! *

Liebesgeschichte

Ähnlich geht es mir bei der Liebesgeschichte, die ja schon im Klappentext angedeutet wird. Diese angeblich „tiefe Verbindung“ war für mich leider einfach nicht spürbar. Hier hätte man durch die schwierigen Umstände wirklich eine wundervolle Liebesgeschichte einweben können oder zumindest eine intensive Freundschaft. Verschenktes Potential! Die Beziehung zwischen den beiden ist kein stürmischer, lebendiger Wind - es ist ein laues Lüftchen. Durchaus nett, aber nicht mehr. Das Gefühlsgeständnis kam für mich außerdem zu früh. Ich hoffe, dass dies im Folgeband intensiviert und ausgebaut wird, so dass man auch als Leserin gefühlsmäßig stärker involviert ist.

*Spoiler Ende!*

Idee & Themen

Wer mich kennt, weiß, dass ich für Dystopien und Utopien immer zu haben bin. Es macht einfach so viel Spaß, sich von einer möglichen schrecklichen Zukunft erschrecken und von den kreativen Konzepten der Autoren beeindrucken zu lassen. Auch diese Welt hat sehr viel Potential und ist gut aufgebaut. Ich verstehe absolut, dass die Weltbevölkerung reduziert werden muss, mir gefällt die Idee der Scythe. Dennoch: Schon nach den ersten hundert Seiten tauchten Fragen in meinem Kopf auf und ich entdeckte erste Ungereimtheiten. Man muss sich dazu in Erinnerung rufen, dass die präsentierte Welt perfekt sein soll, dass Schmerzfreiheit und Fairness im Mittelpunkt stehen (es gibt endlich In-Vitro-Fleisch, yay!). Drei Fragen taten sich sofort auf: 1. Warum überlässt man den Scythe die Wahl, wie sie ihre Opfer töten möchten, wenn es eine Pille gibt, die Menschen absolut schmerzfrei in einer Sekunde tötet? Warum sind Tötungsmethoden wie Ersticken, Ertränken und Verbrennen erlaubt? Entzieht sich meinem Verständnis! 2. Warum dürfen die Scythe willkürlich aussuchen, wer stirbt? Ist es nicht absolut barbarisch, als Scythe Kinder und Jugendliche zu töten, während andere Menschen schon 200 Jahre auf dieser Welt verbringen durften? Warum gibt es hier keine Alters-Regel zum Nachlesen? 3. Warum haben die Menschen nicht mehr Angst zu sterben? Ja, auserwählt zu werden ist mehr als unwahrscheinlich, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich absolut sorgenfrei leben könnte, wenn die Chance bestünde, dass mich ein Scythe eines Tages grausamst verbrennen würde. Diese Fragen konnte ich mir auch nach der Lektüre nicht beantworten und solche großen Widersprüche / Logiklöcher im World-Building finde ich sehr schade, weil es der Geschichte ihre Überzeugungskraft nimmt.

Es werden ernste Themen in der Geschichte angeschnitten und teilweise auch vertieft, was mir sehr gut gefallen hat. Es geht um den Wert des Lebens, die schwierige Suche nach dem Sinn des Lebens, wenn man ewig lebt und die Frage, wie es sich lebt, wenn man die Pflicht hat, 250 Menschen pro Jahr auszuwählen und zu töten. Wer hat es verdient zu sterben? Wie sieht ein gnädiger Tod aus? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das Buch, appelliert dabei an unsere Moralvorstellungen und regt zum Nachdenken an.

Spannung

Schon am Beginn baut der Autor Spannung auf und hält sie (bis auf kleinere Einbrüche) eigentlich kontinuierlich hoch. Man möchte diese Welt erkunden, schnell weiterlesen, weil man seine Neugier befriedigen möchte. Gut gefallen hat mir auch, dass die Geschichte zu keinem Zeitpunkt vorhersehbar war (ich denke, niemand könnte erraten, wie sie sich entwickelt), sondern dass ich immer wieder durch gelungene Wendungen überrascht wurde. Das Ende ist perfekt gelungen für den ersten Band einer Trilogie: Die Geschichte hat einen Abschluss, man ist aber dennoch sehr gespannt darauf, wie es weitergehen wird. Ich werde trotz meiner Kritikpunkte auf jeden Fall Band 2 lesen, weil mich das Buch trotzdem sehr gut unterhalten konnte.

Mein Fazit

Eine kurzweilige, äußerst unterhaltsame Dystopie (oder Utopie?), die durch ihren angenehmen, einfachen Schreibstil zum Pageturner wird und mit einer frischen, interessanten Idee und vielen unvorhergesehenen Wendungen punkten kann. Dennoch reicht es nur für vier Sterne: Sehr gestört haben mich die Widersprüche in der erdachten Welt. Zudem wünsche ich mir für den nächsten Band vor allem eines: mehr Emotionen!

Den Hype kann ich nur teilweise verstehen. Für mich ist der Folgeband dennoch Pflichtlektüre! Übrigens sind die Filmrechte bereits verkauft und an der Adaption wird bereits gearbeitet.

Bewertung:

Idee: 5 Sterne
Ausführung: 4 Sterne
Schreibstil: 4 Sterne
Personen: 5 Sterne
Hauptperson: 3,5 Sterne
Spannung: 4 Sterne
Liebesgeschichte: 2,5 Sterne
Regt zum Nachdenken an: stark!

Insgesamt:

❀❀❀❀

Dieses Buch erhält von mir vier Lilien!