Rezension

Sizilianische Familienbande

Piniensommer - Stefanie Gerstenberger

Piniensommer
von Stefanie Gerstenberger

Bewertet mit 4 Sternen

Es geht weiter mit der Erzählung des Lebenswegs der jungen Sizilianerin Stella und ihrer eigenwilligen Familie!
Diesmal erstreckt sich die Handlung über die Zeit zwischen 1965 und 1975.
Stella und Nico, beide 19 Jahre alt zu Beginn des Romans und glücklich verlobt, müssen auf Wunsch von Nicos Mutter Flora, die der künftigen Schwiegertochter nicht eben freundlich gesonnen ist, noch einige Jahre warten, bis sie endlich heiraten können. Lang ist ihnen diese Zeit, denn sie lieben einander aus ganzem Herzen.
Zuerst einmal aber erwerben sie ihren Schulabschluss, die Maturita, um dann gemeinsam in Palermo Architektur zu studieren. Mit dem Lernen und Studieren tut sich der lebensfrohe Nicola deutlich schwerer als seine Freundin, die ohnehin die Zielstrebigere von beiden ist; dazu ist sie noch belastet mit der Verantwortung für ihre komplizierte, chaotische, doch sehr liebenswerte Familie.
Nico ist mit anderen Dingen beschäftigt: er ist leidenschaftlicher Apnoe-Taucher und hat sich zudem zum Ziel gesetzt, seinen Beitrag zu leisten zur Bekämpfung von Korruption und Vetternwirtschaft, die Siziliens politische und gesellschaftliche Strukturen durchziehen. Sowohl mit der einen als auch mit der anderen Aktivität begibt er sich auf gefährliches Terrain....

Da sich der Klappentext des Buches mit dem schönen Einband auf nur diese Informationen beschränkt, möchte ich das hier auch tun, um nicht zuviel zu verraten über den Roman, den ich mit Spannung, Neugierde und viel Anteilnahme gelesen habe.
Es gelingt der Autorin, die ganz offensichtlich vertraut ist mit der Materie, derer sie sich annimmt, den Leser mitzunehmen in den Alltag einer sizilianischen Familie, die mit allerlei Schwierigkeiten zu kämpfen hat und die doch jederzeit zueinandersteht! Dies tut sie auf bildhafte Weise, die in mir italienische Filme der 60er Jahre hochkommen lassen...
Ihre Protagonisten, schrullig, abergläubisch, gefangen in ihren Konventionen, aber durchaus bereit, sie abzuschütteln, wenn es notwendig wird, sind so menschlich und liebenswert geschildert, dass es dem Leser keine Mühe macht, sie alsbald ins Herz zu schließen, Anteil an ihren Schicksalen zu nehmen, sich mit ihnen zu freuen und mit ihnen zu leiden.

Ebenso gibt uns die Autorin einen Einblick in die ländliche sizilianische Gesellschaft von vor etwa fünfzig Jahren, deren Strukturen teilweise noch sehr stark den Sitten und Gebräuchen einer viel weiter zurückliegenden Epoche verhaftet sind, die aber gleichzeitig voller Widersprüche ist: Modernes und Archaisches liegen eng beieinander - und harmonieren auf eine seltsame Weise sogar!
Viele Bewohner des kleinen südsizilianischen Ortes am Meer, in dem die Geschichte zum Großteil angesiedelt ist, verfügen über das "zweite Gesicht", - und gehen damit um, als wäre das das Normalste der Welt...
Und auch für den Leser scheint es alsbald selbstverständlich zu sein, dass die Toten zu den Protagonisten sprechen oder sie des Nachts in ihren Träumen besuchen, um ihnen Zeichen zu geben oder den rechten Weg zu weisen.
Dem gegenüber steht der harte sizilianische Alltag, der dauerhafte Kampf gegen die Autoritäten und deren Willkür, denen man, wenn überhaupt, nur mit List und Tücke begegnen kann. Auch dem immerwährenden Geldmangel begegnet man eher stoisch und ganz und gar unaufgeregt. Irgendwie wird's schon weitergehen, vermeint man die Protagonisten sagen zu hören...

Stefanie Gerstenberger gelingt es sehr gut, diese so unterschiedlichen Elemente miteinander zu einer homogenen, glaubhaften Handlung zu verknüpfen.
Von gelegentlichen Längen abgesehen, ist ihr ein empfehlenswerter, gefühlvoller und anrührender Roman gelungen, denen ich all denen weiterempfehlen kann, die romantische, dramatische und doch realistische Familiengeschichten mögen, gleichgültig, ob sie eine Affinität zu Italien respektive Sizilien verspüren oder nicht.

Doch es soll erwähnt werden, dass "Piniensommer" einen Vorgängerband hat, "Das Sternenboot" nämlich!
Ich kannte diesen ersten Teil nicht und hatte so beim Lesen immer wieder das Gefühl, dass mir Entscheidendes fehlt, dass ich mitten in eine Geschichte einsteige, die schon lange davor begonnen hat. Ich kam mir oft vor wie eine Mutter, die die wichtigsten Entwicklungsjahre ihres Kindes verpasst hat und jetzt versucht, sich diese irgendwie zusammenzureimen. Immer aber spürt sie, dass sie es bis in alle Tiefen niemals verstehen wird.
Und so lautet meine Empfehlung an alle potentiellen Leser, zum besseren Verständnis unbedingt den ersten vor dem zweiten Band zu lesen!