Rezension

Solider Psychothriller

DEAR AMY - Er wird mich töten, wenn Du mich nicht findest - Helen Callaghan

DEAR AMY - Er wird mich töten, wenn Du mich nicht findest
von Helen Callaghan

Margot Lewis schreibt nebe ihrem Beruf als Lehrerin auch für die Ratgeberkolumne Dear Amy, in welcher sie Woche für Woche Leserbriefe beantwortet. Parallel zum Verschwinden ihrer Schülerin Katie Brown - laut Polizei ist das Mädchen bloß weggelaufen - erhält sie plötzlich mysteriöse Briefe. Briefe von einer Frau namens Bethan Avery - jener Bethan Avery, die vor fünfzehnJahren als junges Mädchen entführt wurde und die man danach nie wieder gesehen hat. Kann es sein, dass sie noch am Leben ist? Kann Bethan der Polizei helfen, die vermutlich entführte Katie zu finden? Aber wieso meldet sie sich gerade jetzt? Und wieso nur per Brief? Wieso wendet sie sich nicht an die Polizei?
 
Seit Ich-Erzählerin Margot die Briefe erhält, fühlt sie sich verfolgt. Da ist dieser Mann im blauen Megan, der ihr ständig begegnet. Ist das etwa Bethans Entführer, der hofft, dass Margot ihn zu ihrem Versteck führen kann? Weder die Polizei noch ihre beste Freundin glauben Margot, sie fühlt sich allein gelassen, nicht ernst genommen, beginnt, ans sich selbst zu zweifeln. Diese wachsende Paranoia ist deutlich spürbar und die ganze Zeit über fragt man sich: Bildet sie sich das alles nur ein oder ist die Gefahr real? Sieht sie Gespenster, weil sie ihre Medikamente abgesetzte hat, oder stellt ihr wirklich jemand nach?

Zwischendurch erfahren wir auch immer wieder, wie es Katie ergeht, was sie erdulden muss. Schnell wird klar, dass dieser Entführer es nicht bloß auf Lösegeld abgesehen hat, seine Motive sind viel gestörter. Und Katies Chancen, jemals zu entkommen, verschwindet gering.

"'Warum bringst du mich bloß immer wieder dazu? [...] Warum können wir nicht einfach glücklich sein? Warum kannst du nicht einfach dankbar sein?"
(Seite 36)

Anfangs habe ich etwas gebraucht, um in die Geschichte reinzukommen. Sie beginnt mit Katies Entführung und ist in diesem ersten Kapitel furchtbar umgangssprachlich geschrieben. Soll wohl Jugend-Slang oder so darstellen. Als aber dann auch die ersten Seiten aus Margots Sicht so geschrieben waren, habe ich kurz überlegt, abzubrechen. Komischerweise legt sich dieser furchtbar umgangssprachliche Stil aber irgendwann und Dear Amy lässt sich ab da sehr gut lesen. Bis auf die Passagen, in denen der Täter zu Wort kommt, die sind wieder sehr übertrieben. Muss er seinem Opfer wirklich in jedem Satz einen neuen vulgären Schimpfnamen geben? Na ja.

Dear Amy schaffte es wirklich, mich zu fesseln, obwohl es ab einem gewissen Punkt sehr geradlinig auf ein Ende zusteuerte. Auf Seite 280 wusste ich genau, welche Richtung die Geschichte nun einschlägt und wie sie enden wird. Wenn ich auch nicht damit gerechnet hätte, dass der Thriller so extrem amerikanisch enden wird. Ich bin ein bisschen enttäuscht, dass ich das große Geheimnis so schnell gelüftet hatte - noch vor Margot Lewis. Und dass danach keine weitere überraschende Wendung mehr auf den Leser wartet. Irgendwie hatte ich mir auf den letzten Seiten etwas mehr erhofft, eine letzte Überraschung, einen cleveren Kniff. Etwas, das mich verblüfft zurücklässt.

Ohne Frage, Dear Amy ist ein guter Thriller mit einer Protagonistin, die mir zwar nicht unbedingt sympathisch war, mit der ich aber mitgefiebert habe. Vor allem die erste Hälfte musste ich einfach in einem Rutsch durchlesen. Danach lässt der Plot leider ein wenig nach und das Ende lässt mich ein bisschen enttäuscht zurück.

(c) Books and Biscuit