Rezension

Sommer-Melancholie

Die Lichter unter uns - Verena Carl

Die Lichter unter uns
von Verena Carl

Bewertet mit 5 Sternen

Ein Wahnsinns-Buch! Und das von mir, die normalerweise immer sehr enttäuscht ist, wenn der Klappentext mehr verspricht, als der Inhalt dann wirklich liefert. Das ist auch bei 'Die Lichter unter uns' von Verena Carl so, aber die Sprache und die Stimmung des Buches haben mich so begeistert, dass das dieses Mal für mich keine Rolle spielt.

Anna und Jo verbringen mit ihren beiden Kindern einen Familienurlaub auf Sizilien, dem Ort ihren Flitterwochen. Es ist kein Luxusurlaub wie damals und die Stimmung ist ebenfalls nicht mehr so romantisch - die Gewöhnung aneinander, Geldsorgen und Stress im Job und mit den Kindern haben dafür gesorgt. 
Ebenfalls auf Sizilien sind Alexander und sein erwachsener Sohn Florian, sowie Alexanders schwangere Lebensgefährtin. 

Es sind die letzten Tage der Urlaubssaison (Ende Oktober) und der Leser darf bei allen erwachsenen Urlaubern, insbesondere bei Anna und Alexander, einen kleinen Blick in ihre Gedankenwelt werfen. Eine Handlung gibt es in diesem Buch nicht wirklich - hier könnte der Klappentext falsche Erwartungen schüren. Wir erfahren vielmehr, wie jeder der Beteiligten an den Punkt gekommen ist, an dem er sich nun befindet. Sind die Personen glücklich, hatten sie eigentlich andere Pläne für sich und ihr Leben? Und wie geht es nach dem Urlaub weiter? 

Der Roman erzählt unaufgeregt und ohne Effekthascherei von verschiedenen Persönlichkeiten. Er schafft dabei eine besondere Stimmung, die von tiefer Melancholie durchzogen ist. Für mich war dieser Roman, trotz der teilweise (scheinbar) deprimierenden Einsichten, friedlich und entspannend. Als Kind waren für mich die Sommerferien ein Ort bar jeder Verpflichtungen und Sorgen. Fernab der Heimat wurden neue Freundschaften geknüpft, neue Schwärme gefunden, unwahrscheinliche, kühne Pläne für das Leben nach den Ferien geschmiedet und jeder Tag wurde verträumt. 'Die Lichter unter uns' hebt das alles auf ein etwas höheres, erwachseneres Niveau, doch essentiell bleibt es das Gleiche: Erwachsene spielen, hauptsächlich im Kopf, 'Was-wäre-wenn', naturgemäß mit etwas mehr Risiko als im Kindesalter. Welche Pläne sind wirklich so wichtig, dass man sie in die Realität und über den Urlaub hinaus verwirklichen will, welche Verpflichtungen holen uns zu Hause wieder ein? 

Sprachlich schreibt Verena Carl auf höchstem Level. Wie sie zwischenmenschliche Entwicklungen durch Naturphänomene oder alltägliche Geräusche spiegelt, ist genial. Die Metaphern, die sie findet sind neu, unglaublich zutreffend und gehen direkt ins Herz, so beschreibt sie z.B. 'abgelegte' Ehefrauen und Mütter als "Puzzelteile mit wunden Rändern" - großartig!

Ein Roman, der bewegt, zum Träumen einlädt und einen fühlen lässt - auch wenn die Charaktere durch die Bank nicht sympathisch sind. Das muss man auch erst einmal hinbekommen!