Rezension

Spannend. Berührend. Aktuell

Schlaflied - Cilla Börjlind, Rolf Börjlind

Schlaflied
von Cilla Börjlind Rolf Börjlind

Bewertet mit 5 Sternen

»Schlaf, du kleines Weidenkind, denn es ist noch Winter ...« Dieses rührende alte Schlaflied singt ein Junkiemädchen für ein Flüchtlingsmädchen aus Nigeria. Zwei Gestrandete, die am Straßenrand in Stockholm aufeinander treffen und sich aneinander klammern, um nicht unterzugehen. Muriel hilft Folami und findet dadurch zurück zu sich selbst. Das klingt erst einmal überhaupt nicht nach Krimi, ist aber der für mich berührenste Seitenstrang dieses Buches, und zudem geschickt mit der Haupthandlung verwoben. Die hat es in sich. Es geht um tote Kinder, vorsätzlich ermordet. Die Spur führt von Schweden nach Rumänien und wieder zurück. Es klingt so unglaublich, was im modernen Europa, in der Europäischen Union, möglich ist und tagtäglich passiert. Auf was für Ideen Menschen kommen und wie andere gezwungen sind, dahin zu vegetieren. Trotzdem kommt dieses Buch ohne vordergründig bis ins Detail beschrieben Splatter-Grausamkeiten aus. Trotzdem geht das, was hier beschrieben wird, zeitweise bis an die Grenze des Erträglichen.
Das Buch beginnt mit einem Prolog, nach dem es drei Monate zurückgeht und dann in mehreren Handlungssträngen weiter. Dass »Schlaflied« bereits der vierte Teil einer Krimireihe ist, wurde mir erst am Ende beim Lesen des Hinterklappentextes klar. Das heißt, man muss die drei Vorgänger nicht gelesen haben, um von diesem hochaktuellen Krimi gefangen genommen zu werden. Geschickt schafft es das Autorenduo, übliche Klischees zu vermeide. Die Figuren haben alle ihre Ecken und Kanten. Die Guten haben ihre schlechten Seiten und die wirklich abgrundtief Bösen zeigen zumindest zeitweise sogar so etwas wie Reue und Menschlichkeit. Um danach weiter Böses zu tun. Gerade darin liegt für mich die Faszination dieses Krimis. Es gibt kein Schwarz-Weiß, sondern nur mehr oder weniger gelungene Bemühungen, das Grau in Weiß oder eben in Schwarz zu verwandeln. Sowohl die Flüchtlinge als auch die Schweden werden differenziert betrachtet.

Trotz mehrerer parallel verlaufender Handlungsstränge gelingt es mühelos, dem Geschehen zu folgen. Als Leser dürfen wir immer wieder auch an den Gedanken der agierenden Personen teilhaben, wodurch ihre Motive und Handlungen klarer werden. Selbst Zufälle, die nahezu unglaublich scheinen, werden im Laufe der Geschichte logisch erklärt. So wie überhaupt alles irgendwie zusammenhängt. Das ist für mich eine der versteckten Grundaussagen dieses Krimis: Wir leben alle in einer Welt, auch wenn die Art, wie wir es tun, unterschiedlicher kaum sein kann. Und eine andere: Das Böse entsteht nicht erst, wenn diese Unterschiede aufeinander prallen. Es ist schon da und lauert nur darauf, seinen Vorteil aus allem zu ziehen.
Fazit: Ein empfehlenswertes Buch. Spannend, berührend und aufwühlend zugleich. 5*****