Rezension

Spannend, düster, toll geschrieben, sehr lesenswert!

Leere Herzen - Juli Zeh

Leere Herzen
von Juli Zeh

Bewertet mit 5 Sternen

In vielerlei Hinsicht ist dieses Werk etwas viel besseres als ein Thriller: Tiefgründig, klug, düster, vllt abgeklärt, aber ganz toll, sehr gut geschrieben und sehr lesenswert.

„Leere Herzen“ von Julie Zeh habe ich sehr gern gelesen und empfehle das Buch auch gerne weiter. Eine tiefgründige, zum Nachdenken anregende Lektüre voller messerscharfer Beobachtungen, was die heutige Gesellschaft angeht und was daraus werden kann.

Die Autorin zeichnet eine Möglichkeit der nahen Zukunft in Deutschland, die erschreckend wirkt und zugleich sehr real erscheint. Trotzdem würde ich den Roman nicht als Psychothriller bezeichnen, nicht im üblichen Sinne, wenn man z. B. an amerikanische oder skandinavische Werke des Genres denkt,  eher als eine politisch gelagerte, gesellschaftskritische Dystopie, in der die heutigen gefährlichen Tendenzen wie Politikverdrossenheit, die sich u.a. in Nicht-Wahlbeteiligung äußert, ein Stück weitergedacht und gekonnt wie eindringlich geschildert wurden.

Die Sprache ist toll, jedes Wort sitzt, dabei erscheint der Ausdruck so ungezwungen, so natürlich. Schon allein das verwandelt das Lesen in pures Vergnügen.

Das Buch konnte ich kaum aus der Hand legen. Es las sich so gut, dass es nach nur wenigen Sitzungen, zu schnell alle war.

Spannend ist die Geschichte insg. Erst konnte ich mir Brittas Arbeit nicht so recht vorstellen, aber nach und nach legte sich ein Puzzleteilchen zum nächsten, und ich konnte mich sehr gut in ihre Weltsicht einfügen und mich in ihre Lage hineinversetzen. In der Zukunft, in der Britta lebt, wollen viele junge Leute nur eins: sterben. Das gibt zu denken, nicht wahr? „Full hands, empty hearts.“ Die Strophe kommt paar Mal im Laufe des Romans und passt zum Ganzen sehr gut.

Britta, die Hauptfigur, ist pragmatisch veranlagt, sie weiß diesen Wunsch in ein lukratives Geschäft zu verwandeln. Sie ist kein typisches  niedliches Liebchen aus Frauenromanen. Sie hat aber die beste Freundin, die auf diese Beschreibung passt.

Bald bekommt Brittas Firma Konkurrenz, denn Erfolg zieht magisch Nachahmer an. Britta als Geschäftsführerin muss schnell eine gute Lösung finden, um sich und ihre Familie zu schützen. Spannend bleibt es bis zur letzten Seite.

Die Figuren erschienen mir wie Archetypen der heutigen, und vllt auch künftigen Gesellschaft:

eine taffe, erfolgreiche Geschäftsfrau, die ihre Rolle und ihre Einstellungen zum Leben und Sterben im Laufe der Geschichte hinterfragt;

ein Startup Unternehmer, der sich über das Auftauchen eines finanzkräftigen Investors sehr freut und bereit ist, ihm praktisch alles zu verkaufen;

ein Investor, der einen spirituellen Anführer mimt, aber ganz andere Motive hat und versteckte Ziele verfolgt;

ein schwuler Araber, ein IT-Nerd, der von seiner Sippe abgestoßen wurde;

ein hübsches Mädchen aus Vorzeigefamilie, das ihr inhaltsleeres Leben nicht erträgt;

eine junge Frau, die nur für sich und ihre Familie lebt und die das Geschehen in der Gesellschaft und Politik absolut nicht interessiert, usw.

Jeder hat seine (Vor-)Geschichte, verfolgt eigene Interessen und legt eigene Sicht der Dinge an den Tag, was sie mehrdimensional und lebendig werden lässt. Britta entwickelt sich im Laufe des Romans, was die Protagonisten in den meisten Thrillern heute sehr selten tun. Das Ganze kommt zu einem überzeugenden wie erschreckenden Bild von Deutschland von morgen zusammen. Am Ende blieb ich aber im Unklaren, was genau dieser Schluss den Lesern vermitteln will: Frau soll zurück zu ihrer wohlbekannten Rolle? Back to the roots?

Dieses zukünftige Leben, das die Figuren dem Leser vor Augen führen, erscheint so selbstverständlich, als logische Konsequenz der heutigen Situation, dass man die aufgezeichneten Entwicklungen für durchaus möglich hält, falls sich heute nichts grundlegend ändert.

In vielerlei Hinsicht ist dieses Werk etwas viel besseres als ein Thriller: Tiefgründig, klug, düster, vllt abgeklärt, aber ganz toll, sehr gut geschrieben und sehr lesenswert. Man sieht dem Roman auch deutlich an, dass es der Autorin keineswegs egal ist, wohin die Reise mit uns allen geht und was Schreckliches aus der heutigen Situation entstehen kann. Insofern kann man den Roman vllt auch als eine Warnung begreifen.

Das Buch ist sehr schön und passend zum Inhalt gestaltet, perfekt als Geschenk: Festeinband ist schwarz, innen rot, eingehüllt in das helle, weiße, leicht geriffelte Umschlagblatt. Es gibt nicht allzu viel Text pro Seite, die Schrift ist augenfreundlich.

 5 Sterne und eine klare Leseempfehlung.