Rezension

Spannend, erschreckend und sorgt für ein Gedankenkarussel

Unsterblich - Jens Lubbadeh

Unsterblich
von Jens Lubbadeh

Bewertet mit 4.5 Sternen

"Im Sommer 2044 ruhte die Vergangenheit nicht länger. Die Menschen hatten sie wiederbelebt wie einen Zombie. Der Tod war eine überwindbare Grenze geworden.“ S.11

Ich bin zwar keine Leserin, die unfassbar häufig zu Science-Fiction Romanen greift, aber ich interessiere mich doch etwas stärker für das Thema. Ich denke besonders in der heutigen Zeit ist der Gedanke an eine Präsenz des Menschen, nach dem eigentlichen Tod, und zwar durch Virtual Reality oder Ähnlichem, stark im Umlauf. Schließlich sind die jüngsten Generationen von klein auf mit dem World Wide Web und der damit verbundenen Technologie sehr vertraut und sind zudem auch immer abhängiger davon. Da trifft Jens Lubbadehs Debütroman meiner Meinung nach, erneut (solche Überlegungen gab es ja schon in der Vergangenheit), den Zeitgeist. Ich war von dem Konzept also schon von Beginn an sehr angetan. Als ich das Buch dann gelesen habe, hätte ich mir sogar gewünscht, dass es kein Einzelband bleibt. Denn das Buch hat alles, was ich mir von einer gelungenen Science-Fiction Lektüre erhoffe. Der Leser wird recht schnell mit der Handlung vertraut gemacht. Es gibt keine unnötig langen Einleitungen, denn alles wird passend zu der jeweiligen Situation erläutert. Es entstehen dadurch auch keine Wissenslücken, die das Verständnis erschweren. Natürlich tauchen einige Merkmale auf, die sich sehr auf die virtuelle Welt stützen, aber anstatt, dass es wie langweiliges Kauderwelsch daherkommt, schafft Lubbadeh dies sehr unterhaltsam und auf verständliche Weise zu präsentieren. Der Fokus liegt zunächst auf dem "Ewigen" von Marlene Dietrich. Auch hier wird der Leser sehr geschickt in die Geschichte hineingeführt. Die Vermischung zwischen der "wirklichen" Marlene Dietrich, sprich den Fakten, die man über sie kennt und der neu entstandenen virtuellen Präsenz, ergänzen sich gut und zeigen immer diese Gradwanderung auf, die die komplette Handlung beherrscht, nämlich woran man die Realität von der virtuellen "Realität" unterscheiden kann und auch sollte. Die Gesamte Atmosphäre und die beschriebenen Räumlichkeiten, wie auch die Prozesse an sich, die mit der virtuellen Entwicklung einhergehen, fand ich großartig.

 

"´Die Ewigen entwickeln sich nicht mehr. Es ist unverantwortlich, diesen animierten Statuen wichtige Ämter anzuvertrauen. Glauben sie wirklich, dass Hologramme von Leuten von Gestern - John F. Kennedy, Helmut Schmidt, Deng Xiaoping - Antworten auf die Probleme von heute haben?´“ S. 96

 

Konfrontiert wird man natürlich auch mit der im Vordergrund stehenden Frage, wie Menschen mit dem Tod umgehen und wie sie ihm aus dem Weg gehen können. Genau das hat mich an Lubbadehs Roman so fasziniert. Auch wenn das Buch eine bestimmte "Mission" verfolgt, geht es stets um Fragen, die sich Menschen immer stellen werden. Zudem auch die Frage nach dem Preis, den man zahlen muss, um sich solch einem Zukunftsszenario aussetzen zu wollen. Besonders für Gänsehaut hat bei mir der ständige Anstoß gesorgt, den der Autor setzt, wenn man darüber nachdenkt, wie gläsern man tatsächlich schon zur heutigen Zeit ist und wie drastisch sich das noch weiterentwickeln könnte. Ist man wirklich bereit alles von sich preiszugeben, um letzten Endes eine Kopie von sich, nach dem Tod herumwandeln zu haben? Man selbst bekommt davon ja schließlich doch nichts mehr mit (aber eben die Angehörigen). Obwohl man also annehmen könnte,  dass das Buch diese Entwicklung nur kritisiert, merkt man doch, dass der Autor gewisse Akzente setzt, die gewisse Dinge positiv darstellen. Diese Entwicklung wird aber erst nach und nach deutlich und hängt mit vielen Aktionen zusammen, die der Leser selbst herausfinden muss. Der Protagonist hat mir ebenfalls gut gefallen. Er ist nicht zu aufdringlich, fügt sich aber gut in die Handlungen mit ein. Zudem verknüpft sein persönliches Schicksal das Konzept auf einem weiteren Level. Hier hätte ich gedacht, dass diese Vergangenheit etwas stärker thematisiert wird, es hat mich aber zum Schluss nicht davon abgehalten, den Roman auch so als "abgeschlossen" zu betrachten. Ebenfalls gelungen war die Frage nach den Grenzen. Wenn man damit beginnt Menschen nach dem Tod durch gesammelte Daten "auferstehen" zu lassen, wie kann man verhindern, dass nicht irgendwann Menschen zurückgeholt werden, die Schaden angerichtet haben. Darauf wird zum Beispiel auch mit der Person Hitlers eingegangen. Sicherlich ein interessantes Thema, das man ebenfalls stundenlang besprechen könnte. Das wirklich einzige Manko, das ich in der Geschichte als etwas makaber empfunden habe, war die Tatsache, dass eine Person, die noch lebt, in dem Buch stirbt. Ich weiß nicht, in wie weit das nur mir etwas "falsch" vorkommt, aber das hätte für meine Verhältnisse etwas anders ausgelegt werden können.

"Der echte Jesus, da war Kari sich sicher, würde sich sofort und für alle Zeiten aus den Gedächtnissen der Menschen löschen wollen, wenn er sähe, was sie alles in seinem Namen veranstaltet hatten." S.365

 

INSGESAMT:  Sehr interessanter, spannender und unterhaltsamer Science-Fiction Roman, der die Auswirkungen des Versuchs unsterblich sein zu wollen, auf ein neues Level bringt. Durch die Beschreibungen und die Erschaffung verschiedenster Zukunftsszenarien, fühlt man sich wirklich, als würde man mit dem Protagonisten in dieser Zukunftswelt leben. So erschreckend die Welt manchmal dargestellt wurde, so merkwürdig gerne wäre man länger dort geblieben und hätte mehr darüber erfahren wollen! Tolle Verknüpfung von verschiedenen berühmten Persönlichkeiten und dem Drang von Menschen, die Vergangenheit nicht enden lassen zu wollen, obwohl ihnen die Zukunft und alles damit verbundene offen steht.