Rezension

Spannend, glaubwürdig, unbehaglich

Dann schlaf auch du
von Leila Slimani

„Aber aus welch schwarzem See in welch tiefem Wald schöpft sie diese grausamen Erzählungen, an deren Ende die Guten sterben, nachdem sie die Welt gerettet haben?“ (S. 35)

Zusammenfassung. Ein schreckliches Unglück stößt den Kindern Mila und Adam zu, und mit ihnen ihrer ganzen Familie. Wie konnte es so weit kommen? Was hat zu der Eskalation geführt, die am Ende der Geschichte steht und mit der dieses Buch gewinnt? Vorsichtig und behutsam nähert sich „Dann schlaf auch du“ dem Grauen an, das im Inneren eines Menschen wohnen kann.

Erster Satz. Das Baby ist tot.

Inhalt. Ich muss zugeben, dass ich zunächst skeptisch war, doch schon das erste Kapitel genügte, um mich zu überzeugen: Dieses Buch ist ziemlich großartig geschrieben. Es ist eine interessante Entscheidung, ein Buch mit seinem Ende beginnen zu lassen, und wahrscheinlich auch nicht in jeder Situation die richtige; hier jedoch kann ich mir kaum einen besseren Aufbau vorstellen.
Man weiß, wie am Ende alles eskalieren wird, und hat 200 Seiten lang Zeit, Situationen zu hinterfragen: Hätte es jemand eher bemerken müssen, was sich dort anbahnt, hinter verschlossenen Türen? Hätten die Eltern andere Prioritäten setzen müssen?
Doch am Ende sind wir die einzigen, die alles wissen und jede Perspektive kennen, am Ende sind wir die einzigen, die vielleicht verzweifelt denken „Nimm dein Gefühl ernst! Unternimm etwas dagegen!“ und die trotzdem dem unaufhaltsamen Lauf nur zuschauen können.

Personen. Durch wechselnde Perspektiven, Sprünge in Vergangenheit und Zukunft, den Fokus auf vielen verschiedenen, mehr oder weniger beteiligten Figuren entsteht vor unserem Auge ein sehr umfassendes Bild einer sozialen Umgebung, die den Charakteren kaum andere Handlungsmöglichkeiten anbietet. Ich verspürte eine unheimliche Verbundenheit mit Louise, die natürlich so oft falsch handelt, dabei aber trotzdem viel Fläche für Mitgefühl lässt; mein Herz brach für Myriam und Paul, die im Grunde nur alles richtig machen wollten, und dann doch vor den Scherben ihrer Existenz stehen.

Lieblingsstellen. „Seit sie geboren sind, hat Myriam Angst vor allem.“ (S. 22)
„Sie werden sie hinausdrängen, und die Nounou wird wiederkommen.“ (S. 173)

Fazit. Es steckt wirklich viel Gutes in diesem Buch: Obwohl das Ende vorweggenommen wird, bleibt eine gewisse Spannung und die irrationale Hoffnung, dass vielleicht doch noch alles gut ausgeht; die Figuren sind besonders, ausgereift und glaubwürdig; und trotzdem fehlte mir das Sahnehäubchen, das mich völlig begeistert hätte zurücklassen können.