Rezension

Spannend? Ja! Abstrus? Leider!

Das Paket
von Sebastian Fitzek

Bewertet mit 3 Sternen

„Schlau“ und „raffiniert“ – diese Worte kommen mir zur Aufmachung von Sebastian Fitzeks neuem Thriller in den Sinn. Das (Hör-)Buch trägt nicht nur den Titel „Das Paket“, die erste limitierte Auflage ist auch tatsächlich in einem solchen verpackt und entfacht mit diesem Marketinggag gekonnt die Neugierde, weckt detektivische Entdeckerlust, reizt mit dem Verborgenem.

Was ist drin in dem Paket? Welche Rolle spielt ein simples Päckchen in einer Geschichte um einen Serienmörder, Vergewaltigung, psychische Abgründe und emotionale Kälte?

Das sind die zentralen Fragen und Sebastian Fitzek ködert uns Hörer/Leser mustergültig mit Spannungsspitzen im Dauerbeschuss. Aber! Obwohl mich die Geschichte zunächst glattweg gefangen genommen hat, bin ich rückblickend nicht ganz überzeugt von meinem ersten „Fitzek“.

 Was da so alles ins Rollen kam, hatte für mich – ich nenne es mal – den Matrjoschka-Effekt – ihr kennt sicher diese kleinen bauchigen Holzfiguren, in deren Inneren sich eine weitere Figur verbirgt und noch eine weitere und noch eine. Ganz ähnlich ist „Das Paket“ verpackt. Anders als bei den Matrjoschkas passen die Handlungselemente hier aber nicht immer gut zusammen. Manche waren in ihrer Verarbeitung zu einfach, andere zu ausgefallen, manche schienen in ihrem Größenverhältnis nicht zu passen.

 Wurde die schwangere Psychiaterin Dr. Emma Stein während eines Kongresses tatsächlich in ihrem Hotelzimmer betäubt und vergewaltig? Und – wenn ja - handelt es sich bei dem Täter um den Mann, dem die Medien den Spitznamen „der Friseur“ gegeben haben, da er allen seinen Opfern die Haare abschneidet? Vieles spricht dafür, einiges dagegen. Die Aussage, die Emma bei der Polizei macht, weist etliche Ungereimtheiten auf. Noch dazu hat Emma den Ruf, es mit der Wahrheit nicht ganz genau zu nehmen. Und doch leidet die Psychiaterin Monate nach der Tat immer noch unter Panikattacken. Sie hat ihr Kind verloren, sich in  Angst und Trauer zurückgezogen, verlässt das Haus nicht mehr, distanziert sich auch von ihrem Mann Philipp.

Eines Tages bittet der Postbote Emma ein Paket für einen Nachbarn anzunehmen, dessen Name Emma völlig unbekannt ist. Diese minimale Abweichung vom Gewohnten, dieser Störfaktor bringt die Steine ins Rollen.

 Quälend langsam, dabei höllisch spannend und von Simon Jäger meisterlich gelesen, gestaltet sich das Entpacken des Pakets. Sebastian Fitzek gewährt uns Einblicke in Charaktere und Abläufe, verschließt Teile der Handlung wieder, öffnet andere, springt in der Zeit nach vorne und wieder zurück, baut fortwährend Cliffhanger ein und lässt uns Hörer/Leser ausgiebig zappeln.

Tadellos scheint das Thrillergefüge lange Zeit, sauber und solide auf’s Papier gebracht bzw. ins Hörbuchformat umgesetzt und ist geschickt mit einer Protagonistin besetzt, an deren Verstand uns der Autor bewusst zweifeln lässt. Aufgrund traumatischer Kindheitserlebnisse hat Emma multiple Eigenschaften ausgebildet, schwankt zwischen kühler Logik, Überreaktionen und Paranoia. Und das ist natürlich sehr ausgefuchst gemacht, wie schon „Girl on the Train“ von Paula Hawkins bewiesen hat. Denn der Hörer/Leser ist hin- und hergerissen, ob er sich auf diese Heldin einlassen darf, ob er ihr glauben darf.

Die eigene große Verunsicherung verleiht Emma Stein allerdings auch charakterliche Kanten, an denen ich mir ein paar blaue Flecken zugezogen habe. Die Figur handelt teilweise (gewollt) übertrieben und hielt mich immer ein stückweit auf Abstand. Kindheitstrauma hin oder her… für eine Psychiaterin blickte mir Emma zu wenig über den eigenen Tellerrand hinaus, steckte zu sehr in ihrem eigenen verkorksten Wesen fest.

 Aber kommen wir zum Paket. Das Paket verleitet Emma dazu, das Haus zu verlassen und dem ominösen Nachbarn nachzuspüren. Es ist – mit Hitchcocks Worten - der MacGuffin, der die Handlung vorantreibt. Ein einfacher Gegenstand (?) mit großer Wirkung und keinesfalls unglaubwürdig, denn oft sind es die kleinen Dinge, die große Folgen haben. Die Ereigniskette, die der MacGuffin hier allerdings nach sich zieht, liegt für mich nahe beim Begriff ‚abstrus’. Fitzek treibt seine Protagonistin in Verfolgungswahn, Hysterie und Wendungen hinein, die in ihrer Gesamtheit ein unförmig-aufgeblähtes Gebilde ergeben, das die Dichte und Glaubwürdigkeit des Plots erheblich stört.

 Zu allem Übel habe ich das Ende größtenteils vorausahnen können, was ich nicht meiner überragenden Spürnase zuschreibe, sondern der Tatsache, dass sich bei genauer Prüfung der Charaktere die Zahl möglicher Täter auf eins reduziert.

 Laut Spiegel gehört der Autor zu den professionellsten und handwerklich zuverlässigsten Thrillerautoren des Landes. Her mit dem Wisch. Das unterschreibe ich sofort! Am Handwerksgeschick ist im Falle des Pakets tatsächlich überhaupt nichts auszusetzen. Probleme bereitete mir hingegen der Bauplan zu dieser konstruiert-verschachtelten Geschichte. Und doch könnte ich guten Gewissens niemandem von einem (Hör-)Buch abraten, dem ich über weite Strecken gebannt gefolgt bin, auch wenn es für mich persönlich am Ende leise „puff“ machte und die Luft raus war.

Mein letzter „Fitzek“ wird es trotzdem nicht gewesen sein. Der Autor besitzt das Rüstzeug zu echter Thrillerkunst, keine Frage. Von seinem Können vollends überzeugen muss er mich allerdings mit einem anderen Buch!

Fazit: Gut gemacht, aber völlig irre!